Tardigrada: Vom Bruch zur Freiheit
Tardigraden sind weniger als einen Millimeter grosse achtbeinige Tiere, welche Habitate bevölkern, wo sonst niemand leben will. Oder aber? Eine Schwarzmetal-Band aus Zürich/Basel, deren neues Album gerade in die Läden gelangt.
Manchmal sitzt du abends vor den Lautsprechern und verschaffst dir jene Dosis Metal, die so ein Alltag eben braucht. Switcht durch diesen oder jenen Song, hörst halb mal halbhalb zu, bis zum Beispiel Tardigradas Vom Bruch zur Freiheit erklingt. Was dich unversehens aufhorchen lässt, packt und im Nu quasi dramatische Bilder in dir hochsteigen. Vielleicht, weil es heuer gerade passt, der Stimmung wegen oder dem Drive, mit welchem das erste Stück loslegt. Plötzlich hockst du zum Beispiel auf dem Hexenbesen oder bist gerade mal Wind höchstselbst, der mit zunehmender Vehemenz durchs gesamte Album bläst.
Vier Lieder sind es, deren Titel wie Kapitelüberschriften breit zu interpretierende, humane/soziale Zustände thematisieren, wobei der letzte (Vom Bruch bis zur Freiheit) das gewagte Versprechen nach Erlösung enthält. Ob dieses eingehalten werden kann, werden wir sehen. Die Stücke sind in Prä-, Inter-und Postludien eingebettet, wodurch das Album eine Art Konzeptanstrich erhält. Deren (lateinische) Nummerierung legt den Schluss nahe, dass an den Vorgänger (und Erstling) Emotionale Ödnis angeknüpft werden will. Wo dieser jedoch vor allem produktionstechnisch noch Luft nach oben offenbart, werden wir bei Vom Bruch zur Freiheit diesbezüglich mit Feinkost bedient. Saiten, Schlagzeug und Vocals besetzen den klanglichen Raum komplett, ohne sich gegenseitig unnötig zu belästigen oder an Dynamik zu verlieren. Besonders die Drums sind klar herausgearbeitet, was zusammen mit dem versierten Spiel von H.A.T.T für abwechslungsreiche Dynamik sorgt. Dasselbe gilt für den Session-Bassisten T., welcher das Spiel mit erfrischenden Läufen aufwertet. Die Lead-Gitarren hingegen spielen in die Breite und verleihen dem Sound das Atmosphärische einer tendenziell bedrohlichen Wetterlage. Unwillkürlich denkst du an rasant treibende Wolkendecke und fragst dich, wohin es bloss führen mag. Schliesslich aber sind es die Vocals, die sich hiergegen anstemmen – in Ohnmacht, Zorn, Verzweiflung, Hingabe, wer weiss, jedenfalls nicht frei, soviel ist klar. Zwei Gesangslagen sind zu unterscheiden, wobei die eine sich wolfig-kehlig gegen die Temperamente auflehnt (und irgendwie an Okoi von Bölzer erinnert), während die andere schmerzerfüllt kreischend eher höhere Frequenzen bedient. Wodurch ein umfangreiches Kolorit von aufbäumender Wut bis hin zu schierer Verzweiflung entsteht – und da hast du deinen Munch dann gleich mal in echt!
Fazit?
Ein wenig bin ich dann doch hin- und hergerissen. Einerseits führt – wie ich meine – kein Weg an Tardigradas Neuling vorbei, andererseits machen sie ja gerade gar nichts, was im boomenden Atmospheric Black Metal-Genre nicht bereits fabriziert worden wäre. Dies dann aber auf erhöhtem Niveau, denn Threnos, Kryptos, H.A.T.T. und T. wissen sowohl ihre Instrumente zu gebrauchen als auch die Arrangements tipptopp funktionieren. Allenfalls zu monieren sind teils süffige Melodie-/Refrainbögen, womit Tardigrada es sich meiner Meinung nach ein wenig zu einfach machen. Doch bleibt dies Geschmacksache.
Was Vom Bruch zur Freiheit deutlich heraushebt aus der Belanglosigkeit vergleichbarer Genre-Scheiben, ist die Intimität, welche über die gesamte Länge zum Ausdruck kommt. Die Hörerin/der Hörer wird mit der Dringlichkeit einer Aussage konfrontiert, welche zwar keineswegs verstanden werden will (wie denn auch?), doch aber die berühmte Saite in dir zum Schwingen bringt. Und was will man mehr von Musik?
Obwohl die Einlösung des Versprechens nach Freiheit sich erwartungsgemäss aufschiebt, ist Tardigrada ein Werk gelungen, welches in seiner Authentizität kaum unberührt lässt. Sollte jedoch das Warten auf die nächste Scheibe wiederum satte fünf Jahre andauern, na dann Prost!
Text: Claude Sturzenegger
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