Hellfest 2022 - Part I

Mittwoch, 9. Oktober 2019. Pünktlich um 11:45 sitzen wir angespannt vor unseren Computern. Der Vorverkauf für die heiss begehrten 3-Tages-Tickets der 15. Hellfest Ausgabe startet um 12:00. Nach gut einenhalb Stunden zittern, bangen und  über abgelaufene Warenkörbe fluchen um 13:38 die Erlösung: Unsere 6 Tickets sind gesichert. Die Vorfreude auf das 3-Tages Festival das im Sommer 2020 stattfinden soll erreicht spätestens im November ihren Höhepunkt, als die Veranstalter über das fast vollständige Lineup informieren. Als Headliner wurden u.a. Faith No More und System Of A Down verpflichtet. Das daraus nichts werden sollte sollten die kommenden Monate zeigen. Die Gründe sind allgemein bekannt.

Auch 2021 ist keine Besserung in Sicht, das Festival wird erneut verschoben und soll neu 2022 stattfinden. Aber nicht wie geplant "nur" 3 Tage, der Veranstalter verlängern das Festival und hängt zusätzlich zu den regulären 3 Tagen nochmals 4 ganze Tage hinten ran. 7 Tage Festival? Wir alle sind kurz verunsichert - wie sollen wir das überleben?! Der Entschluss beide Festival-Wochenenden zu besuchen ist allerdings schnell gefasst. Once in a lifetime! Hellfest wir kommen!

Und so berichten euch Patrik & Christian in diesem und in einem zweiten, bald folgenden Artikel über beide Teile des Festivals, das vom 17. Juni bis 19. Juni und vom 23. Juni bis zum 26. Juni 2022 tatsächlich stattfinden sollte. Wer sich allerdings primär über Berichte der grossen Haupt-Accts auf den beiden Main-Stages freut sei gewarnt, wir hielten uns primär auf den kleineren Stages auf. Folgende 6 Stages erwarten die Besucher des Hellfests:

  • Zwei grosse, nebeneinander liegende Main-Stages
  • Warzone: Hier kommen Punk & HC Fans auf ihre Kosten
  • Valley: Das Paradies für Doom- und Stoner-Heads
  • Temple: Hier wird primär dem Black metal gehuldigt
  • Altar: Death Metal Gewitter!


Tag 0:

Schon einen Tag vor offiziellem Festival-Start treffen wir auf dem Festival-Gelände ein. Gar nicht so selbstverständlich, hat doch eine Panne bei Skyguide just am Tag unseres Abflugs von Zürich nach Nantes den gesamten Luftverkehr in der Schweiz lahm gelegt. Das ist nun bereits unser sechstes Hellfest. Mit dem Gelände und allen anderen Gegebenheiten sind wir somit schon gut vertraut, geniessen den Tag am "Hellcity-Square" mit dem einen oder anderen Grimbergen und freuen uns auf den bevorstehenden Festival-Marathon.



Tag 1:

Ihr erinnert euch an die kurze "Hitzewelle", die Mitte Juni auch die Schweiz erreichte und das Termometer auf etwa 35 Grad ansteigen liess? In Clisson herrschten in diesen Tagen angenehm kühle 40 Grad, ideal für ein Festival! Aber wir wollen nicht jammern, denn was uns musikalisch an diesem ersten Festival-Tag geboten wurde liess die heissten Temperaturen schnell in den Hintergrund rücken.

Gleich zu Beginn zieht es uns ins Valley wo uns erst ASG und dann Elder erwarten. Trotz frühen Spielzeiten heizen beide Bands ordentlich ein und versprechen einen grossartigen, ersten Festival-Tag.

Patrik: Seth waren mir bis vor dem Auftritt am Hellfest gänzlich unbekannt. Die Historie der Black-Metal-Formation reicht jedoch bis in die frühen Tage der französischen Metalszene zurück  und dieser Umstand kommt der Performance zugute: Der melodiöse Black Metal wird mit absoluter Leidenschaft und einer Tightness auf das Publikum losgelassen und lässt mich bei den eh schon knappen 40 Grad im Zelt schwitzen. Sie vereinen alles, was guten, epischen Black Metal ausmacht, ohne dabei bekannte Pfade zu betreten. Gerne wieder! (..aber bitte in einem Club bei angenehmeren Temperaturen)

Christian: Weiter gehts für mich zu Rotting Christ im Temple-Zelt. Hatten wir erwähnt, dass es zu dem Zeitpunkt ca. 40 Grad heiss war? Im Zelt warens wohl eher 45 und ich will gar nicht wissen wie heiss es auf der Bühne gewesen sein muss. Frontmann Sakis Tolis und seine Mitstreiter schien das allerdings völlig kalt zu lassen und legten eine energiegeladene Show aufs Parkett die sich primär auf die letzten 3 Longplayer der Band konzentrierte.

Patrik: Zeitgleich spielen The Offspring auf der Mainstage. Ich würde nicht unbedingt behaupten, dass ich der grösste The Offspring-Fan bin jedoch hat die Band mit Ihrem eigenen, unnachahmlichen Sound das Potenzial mich immer wieder in meine Kindheit zurückzuversetzen. Dies gilt vornehmlich für die Alben Americana und Conspiracy of One.  Trotz der Hitze fanden sich dann auch viele wohl Gleichgesinnte vor die Mainstage. Gepackt hat mich der Auftritt nicht - Manchmal wirkt das Trio, das von einem Tour-Schlagzeugerunterstützt wird,  als hätten sie sich verirrt. Ausserdem sind sie nicht mehr ganz die Band, die sie einmal waren, denn viele Hit's sind hier und da nicht mehr stimmig. Kraftloser Auftritt - Check - nach 30 Minuten wieder  auf der Suche nach Schatten... Die ganze Show von The Offspring gibts hier auf Youtube.

Nachdem vor einigen Wochen High on Fire im Rahmen des Hea­vy Psych Sounds Fest das Gaswerk regelrecht abgerissen hatten war ich mehr als gespannt auf den heutigen Auftritt im Valley. Matt Pike, der Frontmann und gleichzeitig Sludge/Stoner/Doom Metal-Legende schritt mit allem Selbstvertrauen der Welt auf die Bühne. Der Auftritt war unglaublich mitreissend, die Musik brach wie eine Welle über das Publikum herein, und der charakteristische,  schlammige Sound der Band wurde fast aus den Lautsprechern gedrückt. Das abschliessende "Snakes for the Divine" trieb den Circle Pit zu Höchstleistungen und Matt Pike zog mit einem breitem Grinsen im Gesicht von dannen.

Christian: Zurück im Valley sind die Temperaturen dank der späten Stunde wieder etwas gesunken. Trotzdem fühlt es sich ein Bisschen so an als wären wir mitten in Savannah, Georgia, Heimatort von Killer-Bands wie Kylesa, Black Tusk und eben auch Baroness, die einmal mehr mit einer Spielfreude überzeugten die seinesgleichen sucht. Die Band spielt sich einmal  quer durch die gesamte Farbpalette ihrer Diskografie (wer die Band nicht kennt: all ihre Alben sind nach Farben benannt). Hit-Dichte: Hoch. Spassfaktor: Riesig!

Als Headliner standen Deftones auf dem Programm. Die Band gilt als Mitbegründerin des Nu-Metal und schafften mit ihrem zweiten Album "Around the Fur" den kommerziellen Durchbruch, nicht zuletzt dank massiven Airplays der Singles My Own Summer (Shove It) und Be Quiet and Drive (Far Away). Zu jenem Zeitpunkt wurden Deftones zu einem Aushängeschild der Nu-Metal-Szene und auch eine der wenigen Bands aus dieser Zeit die noch immer extrem erfolgreich unterwegs sind. Nach "Pompeji" steht ein gutgelaunter Chino Moreno auf der Bühne und präsentiert mit seinem einzigartigen  Gesangsstil einen Querschnitt über die gesamte Diskografie. Bei Klassikern wie "Diamond Eyes" und "Change (In The House Of Flies)" sang das gesamte Publikum mit - Gänsehaut! Das gesamte Set war voller positiver Energie und top Leistungen aller Bandmitglieder. Ein gebührender Abschluss des ersten Festival-Tages.



Tag 2:

Patrik: Es ist schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal Taake Live erleben durfte. Die Norweger waren vor der Corona-Pandemie omnipräsent: Europa-Touren, Festival-Auftritte, einzelne Club-Konzerte, Taake war überall. Bei der Hitze und Tageslicht wollte der absolut authentische, norwegische Black Metal, wie er feindseliger kaum klingen könnte aber dann doch nicht so ganz zünden. Hoest, normalerweise eine absolute Bühnen-Rampensau hatte wohl auch ein wenig mit den Temperaturen zu kämpfen, wohl auch durch die dicke Mönchskutte  mit Kaputze. Durch die Headbanger-Kompatiblen Songs kam dann doch noch etwas Stimmung auf und mit dem Abschliessenden Banjo-Solo bei "Myr" (grossartig!) wurde der Auftritt versöhnlich beendet.

Christian: Den Headliner an diesem Abend macht Ghost, was im Vorfeld wohl viele Fans vor den Kopf stösste - sollte doch ursprünglich niemand geringeres als Faith No More diesen Posten innehaben. Schon im Dezember vergangenen Jahres liess die Band allerdings verlauten: "Unfortunately due to our current challenges, we aren’t going to be ready to perform for the upcoming Australian, New Zealand and UK/European tours." 
Zu schade, ich hatte mich schon riesig auf den Auftritt gefreut. Zuletzt sah ich die Jungs just ebenfalls am Hellfest 2015 und ich erinnere mich bis heute gerne an diese fantastische Show. Zum Glück bin ich aber auch grosser Fan von Ghost und freue mich somit auch auf deren Auftritt auf der Mainstage. Auch wenn ich mir von Anfang an nicht ganz sicher bin ob Ghost wirklich schon auf diese riesige Bühne und schon vor dieses noch riesigere Publikum passt. Die Show wirkt dann auch in der Tat stellenweise etwas lasch, als würde da etwas fehlen. Und wie ich erst im Nachhinein erfahre mussten Sie wohl auch einen Grossteil Ihrer Bühnenshow aufgrund der anhaltenden Hitze/Trockenheit streichen. Dennoch bietet Tobias Forge mit seinen Nameless Ghouls musikalisch eine super Show. Je mehr sich die Show dem Ende nähert je mehr kämpft Forge allerdings auch mit Problemen mit seiner Stimme. So wird der eigentlich geplante Über-Song Square Hammer dann auch als Abschluss-Song gestrichen und Forge entschuldigt sich er könne leider unmöglich noch einen weiteren Song singen. Nach einer ausgedehnten Headliner-Tour will man ihm das aber auch nicht verübeln.

Patrik: Mitten im Ghost Headline Ritual marschiere ich von der Mainstage zurück ins Valley Zelt. Envy spielt. Es gibt in unseren Gefilden nur wenige Gelegenheiten diese Band aus dem Land der aufgehenden Sonne Live erleben zu dürfen. Envy wurde in den frühen 90er Jahren in Tokio als reine HC-Band gegründet, der Sound  entwickelte sich dann aber schnell in Richtung Post-Rock/Post-Metal, Blackgaze. Die gefühlvollen, sanften Parts, herausragend vorgetragen von Sänger Tetsuya Fukagawa  wechseln sich mit stürmischen Riffs voller Härte, stark erinnerend an Deafhaven und teilweise auch an Cult of Luna ab. Die Bühne in blau getaucht, kurz vor Mitternacht, eine wunderbare Vorstellung die mich zeitweilig in andere Welten katapultierte. Schön.



Tag 3:

Einen Tag nach Envy tritt der zweite Teil des "Japan-Packages" vom Hellfest auf die Mainstage. Maximum the Hormone (oder Makishimamu Za Horumon, auf Japanisch) lassen sich grob dem Alternative-Metal zuschreiben, haben aber viele Elemente aus HC, Pop, Ska, Punk im Sound eingebunden. Ein Aufwärmen gabs nicht. 100% ab Sekunde 1 - da wird gewuselt, gesprungen und gemosht. Die Band macht Ihrem Namen alle Ehre. "You don’t speak Japanese. We don’t speak your language. But music is one." Die dauergrinsende Schlagzeugerin Nao Kawakita hat eine Präzision und eine gleichzeitige Gelassenheit was man selten bei westlichen Bands sieht. Das dauergrinsen hatte ich nach gut 40 Minuten auf dem Rückweg ins Zelt definitiv auch..

Traditionsgemäss verpflichtet das Hellfest auch einige wenige Bands die etwas aus dem "Heavy-Metal"-Rahmen fallen. Die letzten Jahre waren das Ho99o9 (Horror) oder auch Carpenter Brut. In diesem Jahr steht Pertubator auf der Bühne im Valley-Zelt. James Kent alias Pertubator ist ein  französischer Musiker der ursprünglich in diversen Black Metal Bands gespielt hat und jetzt als Solo-Künstler mit Electro- und Synthwave-Musik unterwegs ist. Mit toll gemachten, postapokalyptischen 8-Bit Videos konnte ich mich vorab bereits etwas einstimmen. Als Perturbator die Bühne betreten, ist das Zelt voll. James Kent positioniert sich hinter seinen Synthesizern, während sein Live-Schlagzeuger hinter seinem Drumkit sitzt. Die 2 Musiker tragen bereits zur visuellen Seite des Gigs bei, aber ein grosser Teil von Perturbators Shows ist die Lichtchoreographie. Fast eine Show innerhalb der Show - Grossartig! Die Hinzunahme eines Live-Schlagzeugers machte einen Grossteil des Sets zu etwas völlig Neuem im Vergleich zu den Studio-Aufnahmen. Nach gut 60 Minuten war es ein düsterer Abstieg in eine schmutzige, neonfarbene, pulsierende Unterwelt aus metallisch angehauchten Synthies, gefüllt mit apokalyptischen Stroboskopen, knallharten Riffs und wilden Drums. Die ganze Show von Pertubator gibts hier auf Youtube.

Djent - Ein "betrunkenes Missverständnis", entstanden als Meshuggah Lead-Gitarrist Fredrik Thordendal sich mit Old-School-Fans unterhielt und versuchte zu erklären welche Art von Gitarrensound sie anstreben. Jinjer ist irgendwie Djent (puh.. Zungenbrecher), mischen Sie doch Metalcore, Progressive, Groove und Death-Metal in  einen wilden, technisch unglaublich anspruchsvollen Sound. Ihre Songs sind mit fliessenden Basslinien, komplizierter Gitarrenarbeit und progressivem Schlagzeugspiel gespickt. Sängerin Tatiana Shmailyuk zieht die Menge von der Mainstage mit ihrer unglaublichen Bühnenpräsenz in ihren Bann. Bei mir kam das alles nicht ganz an - zu wild, zu kompliziert, zu eigen? Anstandsapplaus und weiter.. Die ganze Show von Jinjer gibts hier auf Youtbe.

Am späteren Abend des dritten Festivaltages tritt Korn auf die Bühne der Mainstage. Gefühlt ein alter Bekannter den man kaum vorstellen muss. Die letzten Jahre gab es kaum ein Hellfest ohne Korn. Die Performance der Band war soweit ich mich erinnern kann aber auch jedes Mal durchschnittlich, teilweise lustlos und uninspiriert. Dies änderte sich mit dem heutigen Auftritt: Frontmann Jonathan Davis klang bei Tracks wie "Falling Away from Me" und "Freak on a Leash" besser als je zuvor, interagierte mit dem Publikum und erzeugte eine Energie die das Publikum mitreissen konnte.  Ra Diaz, vorübergehender Live-Ersatz für Reginald "Fieldy" Arvizu flog wie ein Tornado über die Bühne und bildete den berüchtigten Bass-Sound perfekt ab. Mit alten Klassikern und auch vielen, neueren Songs von "Requiem" oder auch "The Nothing" spürt man auch ein wiederkehrendes Selbstvertrauen der Band. Toller Auftritt!

Regarde Les Hommes Tomber merkt man den Heimvorteil schon von weitem her an. Die Temple Stage platzt aus allen Nähten!  Selbst  ausserhalb der Zeltbühne quetschen sich die Leute so nahe es halt noch geht in Richtung Bühne. Zum Glück ziert ein grosser Screen den Eingang zu jeder der drei Zeltbühnen wodurch man optisch auch ausserhalb des Zeltes noch etwas von der Show mitkriegt. Der Auftritt ist dann auch solide, das riesen Gedränge drückt aber etwas auf die Stimmung. Da hat wusste der Auftritt im Gaswerk einige Wochen im Oktober 2021 besser zu gefallen.

Als Headliner am dritten und somit letzten Tag des ersten Festival-Teils stehen die Lokal-Helden von Gojira auf der grossen Mainstage. Die Band um die Duplantier-Brüder sind live immer ein Erlebnis, so auch heute. Routiniert  spielt die Band sich quer durch ihr Repertoir aus inzwischen 7 Studio-Alben, natürlich mit Fokus auf den neusten Longplayer Fortitude. Aber auch Klassiker wie Flying Whales oder Backbone dürfen im Set natürlich nicht fehlen. Müde und ausgepowert von den vergangenen Tagen mögen wir alle uns aber nicht weit vor die Bühne drängen und geniessen das Schauspiel aus der Ferne bevor wir uns ein letztes mal (zumindest an diesem ersten Festival-Wochenende) auf den Rückweg zu unseren Campervans (ja, wir sind zu bequem alt zum Zelten) machen. Schon jetzt voller Vorfreude auf die noch kommenden 4 Tage.



Text & Fotos: Christian Renner & Patrik Weber


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