Interview mit Barbara von Wazzara

Wie es ist, als Frau Metal zu machen. Wie Hexenkraft die Wände des Grossmünsters durchdringt. Von Fluten, Zyklen und der Befreiung durch Growling. Das Interview mit Barbara Brawand von WAZZARA (vocals, rhythm guitar, composing)  führte Cynthia (CK) von W.O.O.D. , heavymetal.ch, am 27. Mai 2023 in der Krypta des Grossmünsters Zürich.


CK: Ich freue mich sehr, dich heute in der Krypta des Grossmünsters – eines der Vorzeigemonumente der Altherren Kirche in Zürich – interviewen zu dürfen. Erzähl mir doch bitte etwas über deine musikalische Herkunft und deinen musikalischen Werdegang.

Barbara Brawand: Ich habe das Glück in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen zu sein, beide Eltern sind Musiker und Dirigenten, aber eher im Bereich Blasmusik zuhause. Ich durfte früh schon ein Instrument lernen und habe dann begonnen Klavier zu spielen.  Mit vier Jahren – und das ist gerade sehr aktuell – habe ich Tina Turner im TV gesehen. Schon als kleines Kind war ich von ihrer Energie und der Power dieser Frau fasziniert und wollte schon damals Sängerin werden – also von Anfang an, eigentlich.

Aber damals in den 80ern, 90ern gab es ausser klassischem Gesang in dem Sinne nichts Vergleichbares und das fand ich als Kind schrecklich.  So lernte ich eben Klavier und erst mit dreizehn, vierzehn Jahren hatte ich eine Schülerband und gründete daneben mit meinem Bruder eine Pop Grunge Band, weil ich früh angefangen hatte, Grunge zu hören; Nirvana, Soundgarden – ich feier’ das heute noch. So kam ich zur «härteren Musik». Weibliche Vorbilder gab es damals noch nicht. Doch Tina Turner lebte es vor und ich dachte mir, wenn sie es kann, sollte es doch auch für mich möglich sein, «härtere» Musik zu machen und so zu singen. Es gab später dann wenige weitere Frauen (wir benutzen den Term «Frau/en» für weibliche und «Mann/Männer für männlich gelesene Menschen), die im härteren Genre sichtbar wurden, zum Beispiel Courtney Love, die ich total faszinierend gefunden habe. Sie tat es einfach, sie war rotzfrech, sie stiess an und war auch «eklig». Sie war für mich damals einfach all das, was man als Frau nicht sein durfte. Und so kam ich eigentlich zum Rock, Metal.

CK: Hast du in Tina Turners verkörperter Energie und dieser Urkraft später eine Parallele im Metal entdeckt?

Barbara Brawand: Definitiv, ich habe das auch immer gesucht. Diese Musik hat so etwas losgelöstes, beinahe etwas Unkontrolliertes und das war es, was mich am Metal gerade so angesprochen hat. Ich mag es, wenn es «sumpft», wenn die Musik aus dem Untergrund heraus eine Kraft entwickelt, zum Beispiel diese blast Wände, die auf einen zurollen und Chaos verursachen.

CK: Wie empfindest du die Akzeptanz dir und deiner Musik gegenüber in der Schweizer Metal Szene und darüber hinaus auch in der internationalen Metal Community, als eine der nach wie vor wenigen Frauen in diesem Genre?

Barbara Brawand: Es ist ganz interessant. Es war nicht meine Intention, jedoch schon nach dem Album «Cycles» 2021, habe ich festgestellt; ah, hier öffne ich einen Raum für andere Frauen, denn ich bekam zahlreiche, wahnsinnig schöne Rückmeldungen von Frauen, die sich auf einer nochmals anderen Ebene in dieser Musik berührt fühlten. Das Feedback der Frauen war, sie fühlen sich von den  Texten, von der Musik «abgeholt» und diese Rückmeldungen haben mich wiederum wahnsinnig berührt, denn das ist natürlich eine riesige Ehre. Diese Wirkung hatte ich so nicht beabsichtigt, sondern ich mache das, was aus mir «rauskommt». Natürlich spreche ich solche Themen wie Frauenrechte auch an, aber immer im poetischen Sinn. Es geht nicht um eine «Kampfansage».

CK: Du bist also in diese Szene gelangt mit einem Traum, einem kreativen Potential – ohne damit eine «Kampfansage» für die Frauenwelt zu beabsichtigen. Ist deswegen vielleicht die Akzeptanz in der Szene so hoch? Wie siehst du das?

Barbara Brawand: Ja, ich habe das Gefühl, dass das so ist. Vor allem im Bezug auf unsere Musik, die eine breite Akzeptanz und auch Hörerschaft findet, was mich, uns, sehr freut.

Andererseits gibt es auch negative Rückmeldungen in Bezug auf meine Stimme, leider zumeist von männlichen Hörern. Doch das finde ich grundsätzlich erstmal sehr interessant. Gerade kürzlich anlässlich des «Dark Troll Metal Festival», gab es einen Podcast-Review, bei dem die Rückmeldung des männlichen Gegenübers ein mit verzogenem Gesicht geäussertes; «die Musik wäre ja gut, aber diese Stimme....diese Stimme ist schwierig, denn mit Frauen-Stimmen im Metal kann ich sowieso nichts anfangen....» Einerseits trifft mich das wirklich sehr hart, da muss ich ehrlich sein, das kann ich nicht gut wegstecken. Andererseits denke ich mir dann: Geil, das ist eigentlich ein gutes Feedback, denn meine Stimme ist nicht eine im klassischen Sinne «schöne», fistelige Stimme, die beabsichtig, alle Töne genau zu treffen und zu gefallen, sondern ich singe meinen Schmerz heraus. Und wenn das jemandem nicht gefällt, dann heisst das für mich, ich habe etwas in dieser Person berührt. Diese Berührung muss nicht schön sein, sie kann und soll von mir aus Ekel auslösen. Das ist doch gerade das Potential im Metal, beispielsweise im True Black Metal. Wir als Band verstehen uns nicht als Teil davon, doch gerade dieses Potential, nicht gefallen zu wollen, möglichst aufzuwühlen und ekeln zu wollen, kann auch in anderen Ausdrucksformen des Metals Platz finden. So sehe ich das und so gehe ich, gehen wir mit solchen Rückmeldungen um.

CK: Denkst du, dass könnte damit zu tun haben, dass du als Frau in dieser Szene irgendwie in «heilige Gefilde» eindringst und mit deinem Ausdruck, deiner weiblichen Stimme unbewusst, verdeckte, sensitive Themen in den «Härte»-Suchenden ansprichst?

Barbara Brawand: Ganz genauso. Ich würde es verstehen, wenn ich aus Unbeholfenheit jeden zweiten Ton nicht treffen würde und mich dies im Sinne der Qualität nicht berühren würde. Ich weiss aber, dass solche Aussagen ein persönliches «Empfinden» widerspiegeln, welches offensichtlich innere Ablehnung wegen meiner weiblichen Stimme auslöst.  Auch die Aussage «Grundsätzlich lehne ich Frauengesang ab» – welcher ab und zu übrigens auch von Frauen kommt – empfinde ich als Frau als schwierig, denn dass ich eine Frau bin, kann und will ich ja nicht ändern. Meine Haltung dazu ist; Klar, Jede und Jeder hat Favoriten, was Stimmen und Gesang angeht, auch ich. Dieser Umstand ist es nicht, der mich stört. Doch bei solchen Aussagen wie beschrieben geht es nicht um «Geschmack», sondern um die Tatsache, dass eine Frau, eine weibliche, nicht auf schön polierte Stimme sich in die dunkleren, schwärzeren Gefilde des Metal vorwagt und vielleicht gerade durch die Kombination der Musik und ihrer Stimme, unbewusst unangenehme Gefühle anspricht. Es wäre auch für diese Menschen spannend, bei sich selber nach Antworten dazu zu forschen.


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CK: Wie war es für dich,  alleine mit deiner Gitarre anzufangen, diese Songs zu schreiben und wie hast du es geschafft, männliche Bandmitglieder für deine Musik zu begeistern, die mit dir gemeinsam deine Songs ausbauen?

Barbara Brawand: Ich habe angefangen, die Songs mit meiner akustischen Gitarre zu schreiben und spielte zuvor schon mit Mäsi Stettler (Gitarrist) zusammen in einer Band, aus der ich dann ausgetreten bin. Mäsi sicherte mir immer seine Mitarbeit zu, was mich sehr freute, denn wir harmonieren musikalisch-menschlich sehr gut. Auch George Necola (Bassist / Soundengineer), mein Partner, war von Anfang an dabei, unterstützte mich im Hintergrund schon in der alten Band und half mir bei meinem Projekt in technischen Belangen und als zweiter Gitarrist. Damals spielte auch Julia Drums bei uns und wurde nach ihrem Weggang durch Deniz Lebovci ersetzt, den wir durch Kontakte ausserhalb meines Bekanntenkreises gefunden hatten. Ich hatte damals einige Bedenken, ob meine Musik Deniz nicht zu sanft, zu weiblich sei. Doch meine Zweifel zeigten sich bald als unbegründet, denn Deniz ist ein sehr «gspüriger» Mensch und hat nie darauf gepocht, dass die Musik noch härter wird. Er hat die Band von Anfang an unterstützt. Und auch Tom Kuzmic (Gitarrist), der seit Herbst 2022 neu dabei ist (und bei Disparaged spielt) meinte, er feiere diesen «Old School Doom der 90er» in unserer Musik und würde – falls wir jemanden suchen – sofort dazukommen. Aber schon für meine erste EP «zessa» fand ich in Árni Bergur Zoëga (u.a. Helrunar) einen wahnsinnig begnadeten Komponisten, der mir gezielte Unterstützung beim Aus-Arrangieren meiner Songs gab.

Und so hatte ich wirklich viel Glück, vier Menschen zu finden, die mit meiner Musik und mit weiblichen Themen keine Berührungsängste haben und - wenn man so will - die «Eier» haben, sich mit dieser Form von Metal auseinanderzusetzen, was mich extrem glücklich macht.

Ich bespreche mit der Band auch was mich sonst beschäftigt, diskutiere mit ihnen über alles - auch unangenehme Vorkommnisse wie beispielsweise sexualisierte Übergriffe an Festivals. Es zeigt sich leider immer wieder, und da spreche ich auch aus eigener Erfahrung,  dass Frauen, die an Metal Festivals allein auf dem Gelände unterwegs sind, nicht in jedem Fall geschützt sind, auch wenn wir uns – gerade in dieser Community - in einer sicheren Umgebung wägen. Ich bin froh, dass ich mit meinen Bandmitgliedern auch über solche Dinge offen reden kann und sie mich, so weit wie möglich, schützen. Menschen - und im Fall meiner männlichen Bandmitglieder Männer - die schützend auftreten, um jemandem wie mir, einer Frau oder Frauen allgemein den Raum zur Selbstentfaltung und Kreation zu geben, bewundere und verehre ich sehr. Sie ermöglichen uns, uns so zu zeigen, wie wir sind und das ist sehr wichtig.

Viele Männer wissen oder wussten nicht, dass weibliche Bands oftmals schon beim Soundcheck übergangen und nicht ernst genommen werden, weibliche Bandmitglieder per se für Groupies oder Supporterinnen in einer anderen Rolle gehalten werden, obwohl sie eine halbe Stunde später als Musikerinnen ein Konzert vor hunderten Menschen geben. Das ist leider immer noch Realität und es ist wichtig, dass auf diese Missstände aufmerksam gemacht wird. Wenn ich durch unsere Musik etwas zur Aufklärung beitragen kann, dann will ich das tun. Ganz allgemein habe ich das Gefühl, das hier jedoch gerade viel «Erwachen» stattfindet.

CK: Gehen wir über zur ersten EP «zessa», die ich beim Anhören als eine von dir, im Wald erzählte, mittelalterlich-verträumte Geschichte empfand. War das dein Konzept für diese EP?

Barbara Brawand: Ich freue mich über Feedbacks wie dieses, denn das war so nicht meine Absicht. Wenn man schreibt und den Song dann veröffentlicht, lässt man die Musik auch ein Stück weit los. Was sie dann bei anderen Menschen auslöst, ist am ganzen kreativen Prozess etwas vom Schönsten.

Ich bin einfach ein sehr verträumter Mensch und wollte Musik erschaffen, welche diese Traumwelt transportiert. Ich wollte die Verletzlichkeit thematisieren, meine romantische Seite an mir an die Oberfläche bringen. «The Ferryman» beispielsweise ist wirklich ein Love Song und «zessa» , der letzte Song, hat einen heilenden Aspekt für mich. Der Song fühlt sich an, als wäre ich auf einer sicheren Insel, die zwar von Pfeilen beschossen wird, doch sie erreichen mich nicht. Dieser positive Ausgang einer Geschichte ist sicherlich ein Grundsatz in meinen Lyrics – ich möchte einen happy turn der Geschichte, alles soll wieder gut werden, irgendetwas versöhnliches soll drin sein, denn sonst ist die Geschichte für mich nicht zu Ende.

CK: Als ich mir «zessa» anhörte, empfand ich den Song als Selbstreflexion, für mein Empfinden widerspiegelt er die Gegensätze des eigenen Weiblichen und Männlichen. Was ist deine Geschichte dazu?

Barbara Brawand:  An sich waren es meine Mobbingerfahrungen, welche ich in der Kindheit und Jugendzeit gemacht hatte und die mich sehr, sehr geprägt hatten. Es geht um das ständige Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht auszureichen, immer angreifbar zu sein. Ich wollte dieses Gefühl verarbeiten und daraus wachsen. In diesem Sinne war es nicht meine Absicht, das Thema Weiblichkeit zu beleuchten. Doch bei dieser Frage kommt mir der Gedanke, dass gerade das Gefühl «nicht auszureichen» ja ein urweibliches Thema ist, dass übergreifend für die ständige Beurteilung durch das Aussen steht. Dieses Gefühl kann man auf viele Aspekte im Leben übertragen und darum geht es eigentlich in diesem Song.

Mich würde aber noch interessieren, wo du den männlichen Aspekt in diesem Song siehst.

CK: Den sehe ich nach deiner Erläuterung in der ungefilterten Wut über diesen Umstand, ständig beurteilt zu werden. Das «Rauslassen» der Wut über diese Ablehnung. Meine Interpretation darüber ist, es gibt keine typisch «weibliche» Wut und als Frau kann man durchaus auch eine, als «männlich» wahrgenommene Wut verspüren, für deren Ausbruch und auch Verarbeitung Metal der geeignete Boden sein kann.

Barbara Brawand:  Ja, das ist genauso. Diese Rage, die spricht man dem Weiblichen grundsätzlich ab, trainiert sie sozusagen von klein auf ab. In grossen Teilen der Welt und unserer Gesellschaft ist es noch immer so, dass wenn du als weiblich gelesener Mensch aufwächst, du nicht laut sein sollst, nicht wild sein. Du wirst auf Fügsamkeit eingespurt,  man verfügt oft auch über die eigenen Berufswünsche und eigenes Rollenverständnis. Doch die «gesunde Wut», oder nur schon die Fähigkeit Empörung zu empfinden ist heilsam und wichtig. Da geht es auch um Grenzverteidigung, welche so wichtig ist. Zum Beispiel gerade bei sexuellen Übergriffen ist es verheerend, wenn man soweit konditioniert wurde, dass das eigene Gefühl der Grenze nicht mehr spürbar ist und sich mit dem Schock des Übergriffs verwischt, weil ein bestimmt gesagtes Nein, oder die körperliche Selbstverteidigung in diesem Moment nicht möglich ist. Das ist absolut problematisch. Und ja, gerade dort kann Metal etwas bewirken. Das ist unser Rahmen, in dem wir wild sein dürfen und unserer Wut Luft machen dürfen. Denn wenn Frauen oder weiblich gelesene Menschen kein Ventil finden und diese Wut in uns reinfressen – das wissen wir alle – werden wir krank und das kann für niemanden das Ziel sein.

CK: Wir kommen zurück zur Musik und der Entwicklung von der ersten EP, dem Album «Cycles» und weiter zur zweiten und aktuellen EP «Ombreine». Erzähl mir, wie du eure Entwicklung empfindest.

Barbara Brawand:  Musikalisch gesehen stellte das Album die ersten Schritte in die etwas härteren Gefilde dar, jedoch etwas konziser. Die Songs sind etwas kürzer und auch der Mix, beispielsweise mit der halligen bass drum, stellt einen Findungsweg dar, im Vergleich zur Musik, die wir heute spielen. Ich beschreibe den Weg so: wir sind über das Licht ins Dunkel gekommen. Die Black-Anteile haben wir stetig ausgebaut, was mich sehr freut, denn da wollte ich mit meiner Musik immer hin.

CK: Wie wichtig ist das Album «Cycles» und vor allem der Song «Antares» in Bezug auf deine Entwicklung als Mensch, als Frau? «Antares» erinnert mich an Selbstreflexion über die Vergangenheit. Fühlen sich die, von der Songlänge her, kürzeren Songs für dich als abschliessende Erkenntnis-Schritte zu deiner persönlichen Entwicklung an?

Barbara Brawand:  Das Album ist und war für mich sehr wichtig. Ich habe meine persönliche Entwicklungsgeschichte konkret darin angesprochen und schrittweise verarbeitet. Es ging darum, Gefühle von «in etwas hineingepresst zu werden in das ich nicht gehöre» zu benennen.  Auch ein anderer Song, «Ancestral Bonds», in dem es um eine, im allgemeinen Sinn verstandene, missglückte Eltern-Kind-Beziehung geht, ist eine persönliche Auseinandersetzung. Auf dem Album behandle ich auch Themen um die missglückte Beziehung zu sich selbst, oder Themen wie das nie ankommen und die Trauer darüber. Themen, mit denen wir alle uns identifizieren können. «Cycles» haben wir ja als komplette Band eingespielt, gegenüber der vorhergehenden EP. Wir mussten gemeinsam andere Wege finden, um die Songs in passender Zeit zu bearbeiten. George hat auf dem Album als Producer stark miteingewirkt, was dazu führte, dass die Songs kürzer wurden, ohne den Wert des Songs zu beschneiden. Dieser Prozess war für mich als diejenige, die die Songs geschrieben hat, nicht immer ganz einfach, denn ich betrachte die Songs als meine Kinder (lächelt).

CK: Im Song «Fissures» («Cycles”) schreibst du «Glimmers, at the end of the road”. Hat dieser Satz für dich etwas mit Hoffnung zu tun?

Barbara Brawand:  Ja, definitiv. Das ist wieder ein Aspekt, der mir sehr wichtig ist. Denn wenn die Hoffnung weg ist – und ich kenne das aus meiner eigenen Lebensgeschichte sehr gut – dann macht nichts mehr Sinn. Wenn du gar keine Lösung mehr siehst, kein schöner Traum mehr existiert, dann ist nichts mehr gut.

CK: Wir kommen zum Thema Hexenverfolgung. Du bist ja durch deine Tätigkeit in Auseinandersetzung mit diesem Thema und bestens informiert über die Verfolgung von Menschen, die im 16. und 17. Jahrhundert aus der Norm gefallen sind. Hat der Begriff «Antipode» aus dem Song «Fissures» eine Verbindung zur Hexenverfolgung?

Barbara Brawand:  Dieser Begriff hat für mich eine sehr starke Verbindung zu diesem Thema. Ich beschäftige mich schon sehr lange damit und in der Zeit der Entstehung von «Cycles» war ich so richtig hässig. Damals begann ich das Ausmass dieser Verfolgungen zu begreifen. Ich habe mich in einer Arbeit mit dem Hexenhammer beschäftigt, dem furchtbaren, schrecklich misogynen Buch eines Dominikanermönches, der nachweislich  dem Psychogramm nach grosse Ablehnung gegenüber Frauen empfand. Das Buch hatte eine riesige Auswirkung auf die Art und Weise, wie Hexen verfolgt wurden. Hexen waren immer schon die Projektionsfläche für den «Antipode» (Widersacher). So wurden diejenigen bezeichnet die, in der damaligen Wahrnehmung der Gesellschaft, Satans Arbeit auf der Welt verrichteten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dies vor allem Frauen waren, es gab jedoch auch Männer und Kinder, die eben nicht dem Bild des «Normbürgers» entsprachen, die als Widersacher beschuldigt wurden. In diesem Zusammenhang hat der Begriff «Antipode» eine riesige Bedeutung. Zu damaliger Zeit musste «bewiesen» werden, dass jemand eine Teufelsbuhlschaft eingegangen ist, und Gott abgeschworen hat. Man warf den Hexenfrauen vor allem sexuelle Handlungen mit dem Teufel vor, oder «bezeugte» durch Hörensagen, wie die beschuldigte Hexe in der Kirche, im Zentrum der Heiligkeit, ins Weihwasser spuckte, oder böse kleine Flüche auf Notizzetteln unter den Kirchenbänken platzierte. Ich bin überzeugt, dass die Rolle der damalig vermeintlichen Widersacherin, des Antipode, die Frauen und Nicht-genormten Menschen bis heute noch sehr belastet, grösstenteils sehr subtil.. In der Auseinandersetzung mit diesem Thema, dem Hexenhammer und der Verfolgung, die sich über Jahrhunderte auch in Zürich abspielten, entlud ich meine Wut auch in diesen Songs und diesem Album.

CK: Wie deutest du den Hexenkult in der Metal-Szene. Geht es dabei um die Hexenverfolgung und Aufklärung oder sind Hexen einfach nach wie vor ein sexuell begehrtes Objekt? Wie ist deine Wahrnehmung dazu?

Barbara Brawand:  Ich stelle beides fest. Es gibt einschlägig benannte Bands, die die Projektionsfläche für sexuelle Fantasien für sich nutzen und die damit auch spielen. Das ist meiner Ansicht nach aber nichts Verwerfliches. Ich freue mich über den Erfolg dieser Frauenbands, das ist mir ganz wichtig zu sagen. Es sind geniale Musikerinnen, extrem starke, absolute Könnerinnen und wichtige Vorbilder.

Wenn wir über die Unterdrückung, Verurteilung und Verfolgung sprechen, stelle ich in Reviews aus der weiblichen Metalszene immer wieder erstaunt fest, dass die Tragweite und der Einfluss des Themas auf meine Songtexte genau verstanden wird. Das bedeutet für mich, da sind Rezeptoren. Das finde ich sehr spannend, denn ich schreibe ja nicht explizit über Hexenverbrennungen, sondern verpacke dieses Thema kryptisch in meinen Songs. Die Lyrics in meinen Songs werden von der Mehrheit der Hörer*innen jedoch eh für nicht so wichtig empfunden, doch das ist für die Szene nichts Ungewöhnliches. Die poetischen Interessen sind in der Gesellschaft sowieso rar gestreut, deswegen freue ich mich umso mehr, wenn mich jemand auf meine Lyrics anspricht. Ich habe auch nicht den direkten Anspruch, eine männliche Community für das Hexenthema oder andere Bereiche, die für Frauen historisch wichtig sind, zu gewinnen. Ich glaube, das passiert automatisch, wenn man sich heute in der Gesellschaft bewegt – egal in welcher Szene. Obwohl es leider nach wie vor so ist, dass die gesellschaftliche «Norm» im Bezug auf Geschlechtervielfalt und ihre Emotionen, die Aufarbeitung und Entwicklung nicht genügend gewichten. Dementsprechend auch Frauenthemen wie die Hexenverfolgung nicht.

Ich habe jedoch das Glück eine sehr selbstbewusste Mutter zu haben, die sich nicht in das klassische Rollenbild zwängen liess und nach ihren Vorstellungen lebt. Jetzt, wo sie älter ist, stellen wir fest, dass wir als Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht haben, oder machen. Ich glaube, sie hat mir diesen Funken mitgegeben, der mir hilft, über all dies zu reden und meine Musik so zu machen, wie ich das will. Ihre Generation konnte dies noch nicht in diesem Mass ausleben. In diesem Sinn fühle ich mich eher gerührt, geehrt, als Frau den Platz einzunehmen und das auszuleben, was mir wichtig ist. Ich finde es schön, wenn im besten Fall mein Schaffen auslöst, dass sich Frauen und weiblich gelesene Menschen ermutigt fühlen, sich Gehör zu verschaffen.


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CK: Wenn wir von Entwicklung sprechen und wir im musikalischen Sinn zu eurer gerade veröffentlichten, neuen EP «Ombreine» übergehen – was bedeutet der Name?

Barbara Brawand:  Ich haben den Namen aus «Ombre» (Schatten) und «Reine» (Königin) zusammengesetzt, also die Schattenkönigin. Das ist die Konsequenz und Folge aus der Entwicklung des Erwachens mit «zessa», was im Althochdeutschen «Flut» bedeutet, also ein Losreissen. Dann kam «Cycles», Zyklen, mit dem roten Albumcover – ja es steht im Zusammenhang mit der Menstruation – der fruchtbare Aspekt. Und als Folge davon nun der dritte Aspekt, der Entwicklung zur weisen, alten Frau. Und das ist für mich die Schattenkönigin: Eine Frau, die durch ihr Alter, ihre Erfahrungen viel Schmerz in sich trägt, aber auch weiss, wie sie mit diesem Schmerz umgeht und eine okkulte, beinahe schon göttliche Seite entwickelt.

CK: Die EP beginnt mit einem Cover des Schweizer Volksliedes «Guggisberg» aus dem 18. Jahrhundert. Einerseits so romantisch und unschuldig, andererseits zu einer Zeit geschrieben, in der gerade in der Region Bern Frauen, Männer und Kinder dem Hexenkult und der Verfolgung zum Opfer gefallen sind. Eure Version von Guggisberg kommt in ihrer Düsternis und Romantik diesen Umständen am nächsten. Was hat dich an diesem Lied so inspiriert?

Barbara Brawand:  Ja, das sehe ich auch so. Diese Unschuld und diese Grausamkeit, das bringt man eigentlich nicht zusammen. Dieses Lied inspiriert mich schon lange, in erster Linie aber aus musikalischer Sicht. In dieser Melodie schwingt so viel von dieser Sagenwelt mit, ich kann nicht beschreiben weshalb, aber diese Moll-Melodie, dieses abgrundtief traurige, diese Verzweiflung, wo kein Hoffnungsschimmer besteht, das hat mich wahnsinnig fasziniert. Auch diese Einfachheit, die eine solche Kraft entwickelt. Im Kontext der damaligen Zeit war es natürlich so, dass man nicht einfach heiraten konnte, wen man wollte. Damals hat man geheiratet, weil man eine «gute Partie» machen musste, weil es ums Überleben ging. Es ist also noch nicht so lange her, seit wir als Frau im Hinblick auf die Partnerwahl oder allgemein die Lebensgestaltung frei entscheiden können, auch in diesem Kontext ist dieser Song eine spannende Wahl für uns.

CK: Der Song «visiûne» auf Ombreine - ein Stück auf dem Growls zu hören sind. Ich habe dich bisher noch nicht dazu befragt. Ist das deine Stimme, growlst du? Und wenn ja, ist Growling ein gutes Ventil für Wut?

Barbara Brawand:  Ja, das bin ich und ja, es ist ein mega gutes Ventil dafür. Ich liebe es! Ich liebe es auch zu singen, doch weil ich klassischen Gesang gelernt habe, hat Singen für mich immer noch viel mit Regeln zu tun. Beim Growling gibt es keine Regeln. Die einzige Regel ist wohl, dass du darauf achten solltest, deine Stimmbänder nicht zu verletzen. Ansonsten, ob es nun schräg klingt, oder kreischend, oder tief oder böse, es gibt keine Regeln. Und das finde ich wahnsinnig geil. Da kann ich wirklich einfach rauslassen.

CK: Im letzten Song auf Ombreine, «what lies beneath», erwähnst du die Bezeichnung «raison d`être» - was ist der Sinn des Daseins für dich?

Barbara Brawand:  Ich suche. Ich frage mich manchmal, was diese Eitelkeit in uns soll. Wir schaffen Kunstwerke im verzweifelten Versuch, etwas von uns zu erhalten, dass über den Tod hinaus geht. Und dieses Gefühl haben wir, so glaube ich, alle und das ist grundsätzlich auch ok. Der Gedanke, was kommt nach dem Tod, bietet ein riesiges Potential für Poesie, schon lange vor unserer Zeit, z.B. mit den Vanitas Gedichten. In der heutigen Gesellschaft sind wir wieder an einem wahnsinnig eitlen Punkt angekommen. Es geht im Grossen nur noch um Äusserlichkeiten, um Leistung, darum, gesehen zu werden und das kotzt mich an, denn es ist - im weitesten Sinne – wieder absolut unweiblich. Dass wir uns so krass über Leistung definieren müssen, dass unser Wesen verloren geht, das Fragen, über das innere Glück, über unser Innenleben total unpopulär sind. Damit wollte ich mich in mindestens einem Song befassen. Auch mit der Sterblichkeit, der Vergänglichkeit.

CK: Was kommt denn nach dem Tod? Welche Musik spielt dann?

Barbara Brawand:  Ich weiss es nicht. Ich bin in dieser Hinsicht Agnostikerin. Ich weiss es nicht und deshalb; warum mir darüber Gedanken machen? Was ich weiss, ist, dass ich im Jetzt, in diesem Körper lebe und dass ich irgendwann sterben werde. Das ist mein fuel, mein Antrieb. Um meinen Arsch hochzukriegen und das zu tun, was ich tun muss. Was bereuen die Menschen vor ihrem Ableben am meisten? Dass sie ihre Träume nicht gelebt oder verwirklicht haben, oder es nicht wenigstens versucht haben. Und das ist die Kraft des Todes. Dieser Antrieb. Deshalb ist die Frage, was ist nachher nicht wichtig, sondern was mache ich jetzt und wie integer ich jetzt bin. Kann ich mir im Spiegel ins Gesicht blicken?

CK: Darf ich deine Aussage in diesem Fall so verstehen, dass das nächste Wazzara Album eines über das Leben nach dem Tod sein wird oder eines über das hier und jetzt?

Barbara Brawand:  Ich weiss es noch nicht. Es ist tatsächlich so, dass ich denke die Themen für meine Anliegen sind platziert und die dürfen jetzt wirken. Und sie tun es offensichtlich auch und das freut mich extrem. Ich habe aber auch keine Zweifel, dass wieder neue Eindrücke auf mich zukommen, die mich beschäftigen werden und verarbeitet werden müssen. Die anderen Bandmitglieder werden zukünftig noch stärker ins Songwriting eingebunden, was für mich auch sehr spannend wird. Ich bin so dankbar, dass mich meine Bandmitglieder als kreative Quelle akzeptieren und ich sie als kreative Bereicherung schätze. Das ist ein wunderschöner, kreativer Pot aus dem noch viel entstehen wird. Ich kann mich an einen Review erinnern, in dem von weiblicher Urkraft, die von männlichem Streben gehalten wird, gesprochen wird.

Das finde ich eine wunderschöne Beschreibung.

CK: Ich glaube, es gibt keine versöhnlichere Aussage als Abschluss für dieses tolle Gespräch mit dir, Barbara.

Vielen herzlichen Dank dafür!

Barbara Brawand:  Ich danke dir ganz herzlich für dieses schöne Gespräch und dass du damit die Plattform für die angesprochenen, wichtigen Themen bietest.


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(Text: C. Kuster, Bilder: MANVARLE photography & C. Kuster, veröffentlicht am 13.06.2023)


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