Akustische Souvenirs aus Polen
Bereits wieder ist das Mystic Festival 2023 Geschichte und die alte Werft in Gdansk ihrem Werftsein überlassen. Unterdessen wurde die Festivalpage in Windeseile auf 2024 gepimpt, als ob den Veranstaltern daran gelegen sei, die aktuelle Ausgabe schleunigst hinter sich zu bringen. Doch scheiden sich hier die Geister.
Wir erinnern uns an die Hiobsbotschaft während des Warmup Days, dass Park Stage aus Sicherheitsgründen anderntags leider nicht zur Verfügung stehe. In der Tat musste das Gestänge neu hochgezogen werden plus Running Order markant zurechtgebogen. Doch nicht genug. Die deutschen Eurovision Vertreter von Lord of the Lost verzichteten kurz vor ihrem Bühnengang auf den kunterbunt erwarteten Auftritt, wobei vermutet wurde, nachfolgende Ghost hätten sich vorgängig ein wenig zu breit gemacht. Halt so das Kleingedruckte. Veranstalterseitig jedenfalls DER Albtraum in Reinkultur, wohingegen Festivalgänger*innen ganz einfach auf die vorzügliche Alternativprogrammation auswichen, nicht zu vergessen munter sprudelnder Gerstensaft aus reichlich vorhandenen Zaphhähnen.
HeAvYmeTaL.ch hat die Zeit genutzt, polnische Metallkultur vorwiegend in flagranti unter die Lauscher zu nehmen und ist mit einigen akustischen Souvenirs im Gepäck zurückgekehrt.
Einige dieser Schmankerl wollen wir euch nicht vorenthalten...
Dom Zły aus Puławy
Schon mal was von Puławy gehört? Jenes polnische Städtchen irgendwo im Osten des Landes? Nein? Dann nimm eine Karte, fahr mit dem Zeigefinger der Weichsel Richtung oben und Bingo. Nachgefragt, verweisen Einheimische auf eine Postpunkband namens Siekiera oder auch Tomasz Budzyński, der eine irgendwie schillernde Gestalt der polnischen Musikszene darstellt. Was aber fast schon gestern gewesen sei.
Heute und jetzt dann eben gerade Dom Zły, was sich mit Haus des Bösen übersetzt. Bezüge zum gleichnamigen polnischen Film aus dem Jahre 2009 werden nahegelegt. Auf ihrem Konto sind zwei EPs verbucht plus ein Longplayer, wobei dir die 2021 erschienene EP Śnisz bory tak gęste besonders ans Ohr gelegt werden will. Sängerin Ania Truszkowska liefert darauf ihren Einstand und verpasst dem Sound zweifelsohne eine bereichernde Note. So etwa das Tüpfelchen auf dem i.
Am Mystic Festival spielen sie auf der kleineren Desert Stage, was trotz Tageslicht (!!!) mehr als gut kommt. Ausser der doomig-schleppenden Abschlussnummer Cisza werden sämtliche Songs der letzten EP gespielt plus noch einige weitere.
Dom Zły funktionieren ohne Kutten oder dergleichen, weil Musik ganz einfach genügt. Wir werden mit wütend-melancholischem (sagen wir mal) Post-BM konfrontiert, wobei da und dort Crust-Elemente à la Discharge aufblitzen, vor allem natürlich Refrain-mässig. Ihre Texte beschreiben mehrheitlich innere Zustände, die sich haarscharf an der Grenze zur Hoffnungslosigkeit bewegen. Dort nämlich, wo Wut in schiere Verzweiflung umschlägt. Haus des Bösen denkst du folgerichtig. Gleich verschlossene Türen, Bretter vor den Fenstern, modriger Geruch, Geruch nach Verstorbenem, etwa so. Dann ihre Stimme: Aufwühlend, knurrend, kratzend (wie Sand im Getriebe), roh wie roh nur sein kann, zuweilen dieser 8bit-Touch (wie eben auf Cisza). Dennoch aber extremmelodiös gefühlvoll, du dass du es kaum glaubst.
Fazit? Um Dom Zły kommst du ganz einfach nicht herum, führt kein Weg vorbei und am besten fängst du sofort damit an.
Peyote mit Sunnata
Klar, Sunnatas aktuellstes Album Burning in Heaven, Melting on Earth gehört auf jede Anspielliste. Und wenn du denn grad dabei bist, können die restlichen Scheiben gleich noch addiert werden.
Ihre Musik kommt einem Roadtrip durch eine dieser endlosen Amerikanischen Wüsten gleich, wo bizarre Kakteen wachsen, Schlangenspuren sich im weissen Sand verlieren und hoch oben irgendwelche Aasvögel gerade noch erkennbar ihre Kreise ziehen. Denk Wim Wenders und du bist so weit. Nachts hingegen tanzen verbogene Körper zu Schamanengesängen um wirbelnde Gluten, während grässliche Fratzen sich vor dein Antlitz schieben. Alles schön in Zeitlupe, wohlgemerkt. Oder sind es bloss Visionen? Anderntags dann jene verlassene Tarantino-Serienmördertankstelle, wo übrigens dein Motor gerade den Geist aufgibt und Salma dich zum Tee lädt. Aber du weisst nicht recht. Na ja, wir sprechen hier von «psychedelic sludge/stoner/doom» Metal der feineren Sorte.
Sunnata spielen im überhitzten Saal der Sabbath Stage. Ihr Set beginnt tempomässig verhalten mit Outlands (vom gleichnamigen Album), wonach sie mehr und mehr sich in den meditativen Groove ihrer letzten beiden Werke hineinsteigern. Der Auftritt der Warschauer gerät gekonnt hochprofessionell. Ton für Ton stimmt, das Zusammenspiel sitzt, während die Songs jenen heissen Atem atmen, dass du ihn im Nacken spürst. Kurz, der Auftritt überzeugt von vorne bis hinten. ob er aber wirklich mitreisst, ist schwer zu sagen. Ein klein wenig frage ich mich, ob die Darbietung nicht etwas zu perfekt gerät, zu getimt, zu fehlerlos, umgekehrt Improvisation und Unvorhergesehenes ein Mü zu kurz komme? Womit wir auf höchstem Niveau lästern, einfach darum, weil Sunnata das Zeug für Grosses zuzutrauen ist.
Fotos zum Gig findest du übrigens HIER.
Nach KRZTA die Sintflut
Eine total extremspannende Truppe läuft unter dem Namen KRZTA, was Google Translator kommentarlos mit Kreuzen übersetzt. Hörst du dir den Sound an, passt's eben so oder so. Ihr aktuellste Album mit dem sinnigen Titel ŻÓŁĆ.NISZCZENIE.ZGLISZCZE stellte sich bereits im Vorfeld als der totale Killer heraus. Abwechslungsreich. Kompromisslos. Geradeheraus. Zudem erlebt dein Wohnzimmer LAUTsprechermässig eingesetzt grundgründliche Im-Nu-Entstaubung, dass du den Sauger frohen Mutes stattdessen auf Ebay stellen kannst (und dir dafür ein paar weitere Scheiben zulegst).
Was jetzt aber an KRZT so besonders sein soll, fragst du, mal abgesehen von der Entstaubungsgeschichte? Worauf ich antworte: Authentizität erstens bis allerletztens, dazu noch jene unbändige Wut plus die Konsequenz, ALLES wegzulassen, was der Message abträglich wäre. Vergiss denn mal Solodingsda. Das Verspielte. Individualverwirklichung. Den versöhnichen Refrain. Aber subito!
KRZTA machen Musik, die daherkommt wie Post-Transformers, wie selbständig gewordene Hafenkräne, wuchtig wie Stahlkappenmarsch, wobei dauernd du aus dem Tritt gerätst. Gestossen wirst. Angeschlagen. Aufgeweckt. Oder aber unter dir etwas birst. Globus zum Beispiel.
Dazu noch das polnisch Verbalisierte, was sich nicht so recht in die Vierviertelstruktur eines Songs einbiegen lässt. Da und dort unbequem kratzt. Entrhythmisiert. Gegenrhythmisiert. Vom Drive her wird Erinnerung an die ganz alten Voivod wach. Der Rhythmus. Die Akkorde. Bei KRZTA halt bloss ein oder zwei Ligen zorniger. Oberligenzornig.
Ihr Auftritt spiegelt das Ganze perfekt. Gerät erwartungsgemäss zur totalen Wucht. Zum Soundgewitter mit allem Drum und Dran. Was willst du da noch mit Worten? Vier aufeinander Eingeschworene, die dir alles so entgegenschmeissen, dass du zu atmen vergisst. Rrröööaaarrr-Effekt mal hundertpro. Danach bezeichnest du dich für ein gutes Weilchen mal als totalgeläutert. Entstaubt eben. Brauchst erst mal ein Plätzchen an der Abendsonne. Zur Reflexion, wie es so schön heisst.
Fotos zum Gig findest du übrigens HIER.
We are MüuT and we play stoned black 'n' roll!
Vor
lauter «Artyness» vergisst man als (so oder so) überzeugter BMler
zuweilen, dass Livemusik eben verdammt noch mal auch ROLLEN kann. Und wie! Wenn zum Beispiel MüuT
ihren Black 'n' Roll auspacken, kämmt deine Mähne (oder was auch
immer davon übrig geblieben ist) sich radikal nach hinten. Deren Auftritt
findet Park Stage statt, heisst Open Air und besser könnte nicht
sein! Die vier Warschauer schrammeln, schrummeln, trommeln und bangen, dass es eine
wahre Freude ist. Vor allem aber reissen sie mit!
Klar, stellen MüuT jetzt nicht gerade die Art Band dar, wo du post-Gig mässig gierig zum Merchstand rennst, um Tonträger zu kaufen. Obwohl ihr Album ... made me do it echte Qualitäten aufweist, kriegst du den stilistischen Vergleich von Konserve zu Liveauftritt bloss punktuell hin. Spürbar, dass die Vier sich diesbezüglich noch zu finden haben. Zu beliebig spielen unterschiedliche Einflüsse ineinander und reichen von melodiösen Punkrock-Refrains hin zum eingangs propagiertem Black ‘n’ Roll (was du dir im Übrigen genauso vorstellen darfst). Doch gibt es sie erst seit etwa eineinhalb Jahren, also aufgepasst!
Dringendst aber empfehlen wir dirJEDE Reise nach von mir aus nach Werweisswohin, um MüuT ganz einfach LIVE zu erleben!!!
Fotos zum Gig findest du übrigens HIER.
HeAvYmeTaL.ch ist ein gemeinnütziger Verein, der die Schweizer Metalszene nach Kräften unterstützt. Falls du einen Beitrag leisten willst: Von der eigenen Mitgliedschaft bist du DIESEN EINEN KLICK entfernt.
Verspürst du gar Lust, dich redaktionell zu betätigen, schreibst du uns am besten.