Grabungsbericht Januar/Februar 2024

Die Metalszene Schweiz boomt. Insbesondere im Extrembereich schiessen Projekte wie Pilze aus dem Boden, dass an ein vollständiges Kartografieren gar nicht mehr zu denken ist.

Nicht zuletzt habe dies damit zu tun, dass mit einer bezahlbaren DAW plus bestenfalls mittelmässiger Soundkarte sich ein bereits veritables Soloprojekte verwirklichen lässt (siehe auch unser Interview mit Eïs). Nicht zu sprechen von vorsätzlich intelligenter Unterstützung.

Allein die Plattform Encyclopaedia Metallum verzeichnet in den letzten vier Jahren 55 vorgenommene Eintragungen im CH-Metallbereich. Landesweit sind 600 aktive Projekte aufgeführt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich lediglich um die Spitze des Grabhügels handelt. 

HeAvYmeTaL.ch jedenfalls hat den Spaten ausgepackt und auf vollmondbeschienenen Lichtungen und düsteren Höfen nachgegraben. Dabei wurde das eine oder andere lichtscheue Exemplar zunachte gebracht, welches diesjährig mit einem akustischen Lebenszeichen aufzuwarten in der Lage war. In dieser Ausgabe kümmern wir uns um die Artefakte Januar/Februar 2024. Weitere folgen...


Anmerkung: Sollte gerade DEIN schwarzes Projekt nicht aufgeführt sein, kann es entweder daran liegen, dass DU in deiner Grösse nicht erkannt wurdest oder aber Grabung nicht in der erforderlichen Tiefe erfolgt war. In beiden Fällen wendest du dich subito an redaktion@heavymetal.ch.


INHALT in chronologischer Reihenfolge

Kala Azar / Kala Azar (5. Januar 2024)
Höxofrëtekhänïmerjëhtrofslöträn / Pest 2023 (9. Januar 2024)
Ansia / Il Tuo Culo Preso A Calci (1. Februar 2024)
Ad Nihilum / An Escape For The Guilty (2. Februar 2024)
Lebensangst / Im Elend daheim (3. Februar 2024)
Crow Mayhem / Chaos Divine (16. Februar 2024)
AOTB / No Return (15. Februar 2024)
Satanic Violence / Six Sick Suck (13. Februar 2024)
Dark Space / Dark Space -II (16. Februar 2024)
Illumishade / Another Side Of You (16. Februar 2024)


Kala Azar / Kala Azar (5. Januar 2024)

Das Cover von Kala Azars gleichnamiger EP zeigt ein stachlig skelettiertes Wesen, welches in trauernd verzweifelter Geste zu verharren scheint. Das Machwerk der Solothurner ist denn in der düsteren Doom/Sludge Ecke zu verorten, ergänzt um eine gutgemeinte Prise Stonereskes. Die vier Stücke sind insgesamt spannend angelegt, wobei das Trio Gespür für Tempo, Varianz und Dynamik beweist. Zudem scheint mir die Viertrack-Entscheidung eine sinnvolle gewesen zu sein, nach dem Motto weniger ist mehr... 

Fazit: Kala Azar kommt als höchstsolides, wie aus einem Guss gewirktes Album daher. Die Produktion wirkt klar und ausgewogen, ohne jedoch auf Rauheit und Druck zu verzichten. Genreliebhabern kann das Stück mit bestem Gewissen an die Ohren gelegt werden.

Das digitale Album erwirbst du HIER bei bandcamp.

[Wertung: 3.0/5.0]


Höxofrëtekhänïmerjëhtrofslöträn / Pest 2023 (9. Januar 2024)

Seit den späten 20er Jahren versorgt Einmannkapelle Brahz den Untergrund mit einer steten Flut an Akustischem. Wir sprechen hier von eigenständigem DIY-Schwarzmetall mit Referenz an die Neunziger. Dass der Künstler stets von sich reden macht, liegt weniger in genannten Roots begründet, sondern der schonungslosen Weise, mit der er sich in seine unzähligen Projekte eingibt. AUTHENTIZITÄT in Kapitallettern mal erstens, zweitens INTIMITÄT. Letzteres überrascht nicht, weil BM ganz einfach intim zu sein hat, ansonsten so oder so nix taugt. Das Stilistische wäre denn mehr der Kommunikationsebene zuzuordnen als zum Beispiel Genreschubladen. Auf Pest 2023 finden sich zwei Songs, die als autobiografische Reminiszenz ans vergangene Jahr zu verstehen sind. Sowohl Schmerz, Wut, als inhärente Schönheit kommen darauf zum Ausdruck. Beim Anhören gerätst du in eine quasi vor-reformatorische Grundstimmung, dass du dir den Hieronymus Bosch Bildband am besten gleich auf die Knie legst (aufgeschlagen jenen Doppelseiter «Die Qualen der Hölle»). 

Fazit: Wer darin zustimmt, dass Musik sich zu wesentlichen Teilen an durch sie erzeugter Bildgewalt misst, wird Pest 2023 mehr als einmal hören wollen. Sollten deine Gewohnheiten sich mit der Produktion schwertun: TRY-IT-AGAIN! AND-AGAIN!

Das digitale Album erwirbst du HIER bei bandcamp.

[Wertung: 4.0/5.0]


Ansia / Il Tuo Culo Preso A Calci (1. Februar 2024)

Die Tessiner Ansia hauen dir unbeschwert(en) Punk’n’Thrash um die Ohren, dass es rockt & alles. Dr. Spandex und Davestation kriegten es hin, fünfzehn (entsprechend kurze) Songs aufs Album zu quetschen, welche vor Spielfreude geradeso strotzen. Auch wenn du keines der Riffs nicht bereits zum x-ten Mal gehört hast, präsentiert das Duo diese in beneidenswert ignoranter Nonchalance, dass der Eindruck entsteht, sie hätten diese gerade eben erst erfunden. Wer sich dazu noch die Mühe macht, ihre Texte zu lesen (oder aber zu verstehen), wird von Nonsense (Convenevoli) bis hin zu quasi nachdenklich (Reich’n’Roll) so oder so bedient.

Fazit: Ein erfrischendes Erzeugnis zweier Musikanten, die hörbar Spass an der Sache haben, sich selbst dazu nicht zu ernst nehmen, technisch aber von vorne bis hinten überzeugen. Ob wirklich ALLE fünfzehn Tracks auf dieses Album gehören, kann angeregt diskutiert werden. Bezüglich Covergestaltung hingegen besteht DRINGLICHER HANDLUNGSBEDARF. Es wäre der (gewiss vorhandene) Freundeskreis zu durchleuchten, ob darunter sich nicht doch eine graphisch wenigstens halbversierte Person finden lässt.  

Das digitale Album erwirbst du HIER bei bandcamp.

[Wertung: 3.0/5.0]


Ad Nihilum / An Escape For The Guilty (2. Februar 2024)

Multiinstrumentalist David Mottier stellt gerne klar, dass Ad Nihilum als Einmann-Projekt zu verstehen ist. Dennoch verleiht gerade der Beizug des Vokalisten Rayan Tengblad dem Album zusätzliche Kontur. Inhaltlich stellen die vier Songs eine Art Abgesang auf die Menschheit dar, entsprechend melancholisch gestaltet sich die Grundstimmung. Konsequenterweise bewegen wir uns in den Gefilden doomigen Black’n’Death Metals, angereichert durch ein breit gefächertes Instrumentarium von Piano hin zu luftigen Chorälen. Trotz ihrer Länge wirken die Stücke abwechslungsreich und mit (nahezu akribischer) Liebe zum Detail ausgestaltet. Die Produktion kommt adrett und äusserst sauber daher. Denk klinisch. 

Fazit: An Escape For The Guilty präsentiert sich als kurzweiliges, wohlausgewogenes Stück Musik, dem anzuhören ist, dass nichts hatte dem Zufall überlassen werden wollen. Entsprechend entstand ein hochgradig (Note für Note) perfektes Album, wodurch dem Machwerk das «Eigene» dann doch irgendwie abhandenkommt. Schade drum auf jeden Fall, es fehlte nicht viel...

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[Wertung: 2.5/5.0]


Lebensangst / Im Elend daheim (3. Februar 2024)

Das Cover von Im Elend daheim zeigt ein mondbeschienenes Märchenschloss. Dahinter erheben sich zerklüftete Berge. Romantik denkst du spontan, vielleicht sogar, ob KI hier gezaubert hat. Und allenfalls noch, wo um Kreuzes Willen das Elend verblieben ist. Beim Anhören entdeckst du jene melancholische Grundstimmung geradeso wieder. Nihilus und Acheron scheinen zu wissen, wie Songs aufgebaut werden, hantieren gekonnt mit anzüglichen Melodien und setzen Choräle (et cetera) wirkungsvoll ein. Die beiden machen es derart gut, dass Harmonie durchgehend erhalten bleibt, zudem stets etwas Überraschendes geschieht – wenn auch nicht gänzlich unerwartet. Das Elend hingegen jedoch bleibt kurzerhand daheim oder aber findet sich in den Songtexten wieder, die vom Gesangsmeister in einer tendenziell tiefen Tonlage bellend-knurrend ausgeworfen werden. 

Fazit: Im Elend daheim kann solchen ans Herz gelegt werden, die melancholisch-romantischem BM verfallen sind plus einer gewissen Süffigkeit sich nicht verschliessen. Stärken des Albums sind im Songwriting zu verorten, ein wenig schwer tue ich mich mit den Vocals, die für mich nicht so recht ins Gesamtbild passen wollen. Einerseits von der Couleur her, andererseits erscheinen sie im Mix wie zusätzlich hinzugefügt.

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[Wertung: 2.5/5.0]


Satanic Violence / Six Sick Suck (13. Februar 2024)

Wenn Musiker von AaraGhörntBedrängnis, Malphas et cetera sich zusammensetzen, bist du so oder so gespannt. Sowie Covergestaltung darauf hinweist, dass JFuathRaven Dust und musikalisch sich am letzten Jahrtausend zu orientieren trachten. Die drei Songs kommen allesamt spielerisch/kompositorisch unbeschwert daher, wobei die Urheber sich dem breiten 80er-/90er-Regal recht ungeniert bedienen. Vor allem bei Kill und Six Sick Suck stimmt das Zusammenspiel des Quintetts, wobei vor allem die Vocals von Raven Dust hervorzuheben sind. 

Fazit: Black'n'Roll wie er sein soll, lediglich der dritte und letzte Song wirkt auf mich etwas inkonsistent.

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[Wertung: 3.0/5.0]


AOTB / No Return (15. Februar 2024)

Nördlich des Röstigrabens verliert AOTBs Bekanntheitsgrad sich überproportional. Was eigentlich mehr als schade ist, da die Jurassier einiges zu bieten haben. Das Quintett spielt leidenschaftlichen Deathcore/Djent, gepaart mit technischer Finesse plus abwechslungsreichem Songwriting. Auf No Return finden sich neun kompakte Tracks, die stilistisch breit angelegt sind und technisch bestens funktionieren. Die Produktion wirkt ansprechend, wobei spürbar bleibt, dass von Aufnahme bis Mastering sämtliche Prozesse in Eigenregie abgewickelt worden waren. Hier wäre unter Beizug weiterer Ohren bestimmt mehr herauszuholen gewesen.

Fazit: Sollte dein Körper bei Deathcore nicht gerade mit Konvulsionen in der Magengegend reagieren, kann dir das Album empfohlen gelegt werden - auch wenn produktionstechnisch der letzte Punch noch irgendwie fehlt, sowie das Album meinerseits einen eher einmaligen Eindruck hinterlässt. Am allermeisten jedoch bin ich davon überzeugt, dass die Jungs aus Delémont vor allem live den totalen Kick darstellen (womit die Hoffnung ausgedrückt sei, dass sie den Weg in die Deutschschweiz doch noch irgendwie finden).

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[Wertung: 2.5/5.0]


Crow Mayhem / Chaos Divine (16. Februar 2024)


Für das Album Chaos Divine scharte Laurent ‘Blast’ Mainolfi (ex-Zuul FX, This Misery Garden) ein bemerkenswertes Trüppchen um sich. Dirk Verbeuren (Megadeth) bedient die Drums, als Gastmusiker wirken Nick Holmes (Paradise Lost, Bloodbath), Björn Strid (Soilwork) plus viele mehr mit. Das Produkt besticht vordergründig denn durch handwerkliche Fertigkeit, wobei da und dort Momente erzeugt werden, wo der Groove stimmt und nicht bloss arrangiert wirkt (was über weiter Strecken der Fall ist). Trotz technischer Brillanz entsteht ein irgendwie zerstückelter Eindruck aneinandergereihter Songs.

Fazit: None

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[Wertung: 2.0/5.0]




Dark Space / Dark Space -II (16. Februar 2024)

Statisches Rauschen. Bruchstücke einer Transmission. Sprachfetzen. Worüber ein einsam vibrierenden Synthesizer Klang sich manifestiert, an Fülle gewinnt, dich der Behaglichkeit deiner vier Wände entzieht. Verloren in der Kälte des unendlichen Raums. Point Of No Return. Worauf Tempo sich erhöht, methodisch angeschlagene Saiten einer verzerrten Gitarre weiter und weiter in die Unendlichkeit führen. Doch keine Reise ist es, die du antrittst, sondern Zustände oder Jetztmomente, die durchlaufen werden. Der Verlust von Relation. Bist du es, die/der sich bewegt oder aber Raum um dich? Zeit als Schauer wie heute gleich morgen gleich wedernoch.

Fazit: Auch wenn vielen der Blast der letzten Scheiben irgendwie fehlen wird, misst Darkspace -II sich an der nach oben offenen Richterskala. Ende der Transmission.

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[Wertung: 4.5/5.0]


Illumishade / Another Side Of You (16. Februar 2024)

Illumishade wurde 2019 von den Fabienne Erni and Jonas Wolf aus der Taufe gehoben. Dazu noch spielen beide bei Eluveitie, wovon du natürlich halten kannst, was du willst. Ebenso sind sie bei Napalm Records unter Vertrag und werden entsprechend verdealt. Auf ihrer Homepage lernst du, dass es sich um Musik handelt, die sich aus majestätischen Melodien zusammensetzt, komplizierte & innovative Grooves enthält plus Leads dich erwarten, die an das goldene Zeitalter der Gitarrenvirtuosität erinnern. Dem lässt sich wenig entgegensetzen. Das Album wirkt angefüllt mit «catchy» Riffs, wunderbar verträumten Passagen, dazu noch Fabiennes gefühlvoller Stimme, die in allen Tonlagen zu überzeugen vermag. Plus sowieso allem, was einem irgendwie gefallen mag. Wobei eben gerade der Eindruck entsteht, man habe sich beim Komponieren des Albums vordergründig an der potentiellen Käufergruppe orientiert. So ein bisschen Hollywood hat ja auch sein Gutes...

Fazit: Wer glanzverpackten Disneymetall liebt, sollte sich Illumishades Neuling unbedingt reinziehen. 

Das digitale Album erwirbst du HIER bei bandcamp.

[Wertung: 2.0/5.0]




(Text: C. Sturzenegger, veröffentlicht am 18.05.2024)


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