SCHAMMASCH / The Maldoror Chants: Old Ocean

SCHAMMASCH hätten das Rezept, stillzustehen, um in aller Ruhe zu reproduzieren. Wogegen sie sich strikte verweigern. Dass diese Haltung gerade ihrem aktuellen Longplayer gut zu stehen kommt, erfährst du unten.


Hintergrund

Le Chants de Maldoror stellt ein verqueres literarisches Werk des 19. Jahrhunderts dar. Der gefallene Erzengel Maldoror berichtet in sechs (Ich-) Gesängen von seiner Annäherung an das Wesen des Menschen. Da er dessen Urnatur im abgrundtief Bösen festmacht, geschieht dies zumeist in Ausübung furchtbarer Gräueltaten.

SCHAMMASCHS Werk hingegen liegt eine reflektive Passage des ersten Gesangs zugrunde, wo der Protagonist mit dem alten Ozean in eine Art Monolog (sic!) gerät.

Während 51 Minuten Gesamtspielzeit erwarten uns auf The Maldorer Chants: Old Ocean sechs Stücke, die sich thematisch recht konsequent an die Buchvorlage halten. Gleichsam werden die Lyrics mehrheitlich wortgetreu wiedergegeben. 


Durchgehört

Mit Crystal Waves werden wir sanft abgeholt. Wellenrauschen ist zu vernehmen, während Gitarrendelays eine schillernd, fast schwebende Stimmung erzeugen. Einsetzendes Trommelspiel steigert die Dramatik, unterstützt durch eine rezitativ gehaltene Gesangsstimme. Im weiteren Verlauf legt Layer über Layer sich auf musikalisches Geschehen, dass bei geschlossenen Augen du dich auf wogenden Wassern wähnst, unter dir unergründliche Tiefen. Grossartig!

A Somber Mystery fungiert als instrumentales Zwischenstück, welches zur Ruhe bringt, was – wie du weisst – nicht von Dauer sein kann.

Auch bei Your Waters Are Bitter lässt man sich Zeit mit dem Aufbau, dass mit dem Hereinbrechen des Songs du geradezu erschrickst. Ab sofort baut ein mächtiger Sturm sich auf. Wogen werden höher und höher (hin zu übermächtigen Flutbergen), derweil Maldorors ungezügelter Hass sich sukzessive steigert.

Ein spannungsgeladener, am Narrativ orientierter Song, der (erstaunlicherweise) mit einem Fade Out endet. Alles in allem ein superstarkes, wenngleich dichtes Stück, worin SCHAMMASCHS hohe Kunst, innere Zerrissenheit fast bildhaft auszudrücken, zum Tragen kommt.

They Have Found Their Master wird durch repetitive Gitarrenakkorde eingeleitet, dass du gleich an ruhige Gewässer denkst. Im Sonnenlicht funkende Wellenkronen et cetera. Wohinein unser Protagonist der akademischen Frage nach der Tiefe der menschlichen Seele nachgrübelt, gleichzeitig sich jedoch offenbart, dass er gerade jenes Wissens entbehrt. Das Stück endet erhebend, nahezu hymnisch.

Image Of The Infinite nun stellt jenen einzigen Track dar, wo Platzierung mir etwas schwerfällt. Inhaltlich stellt er eine Lobpreisung an den alten Ozean dar, dessen weitreichende Unendlichkeit (in einsamer Weise) besungen wird. Für sich gesehen ein wunderbar entspannter Track, der musikalisch jedoch wie aus dem Gesamtfluss herausgehoben erscheint. 

I Hail You Old Ocean beginnt friedvoll, nahezu erschöpft, um bald in eine Art enttäuscht wütende Ohnmacht hineinzugeraten. Maldorors Einsamkeit wird offensichtlich, worauf er letztlich beschliesst, zu den Menschen zurückzukehren. Mit einer ordentlichen Portion Pathos werden wir in die Stille danach entlassen.

Fazit: Mit The Maldoror Chants ist SCHAMMASCH ein Wurf gelungen. Das Album wird als intensives, doch aber kurzweiliges Machwerk all jenen empfohlen, die sich dem bildhaften Charakter von Musik verbunden fühlen.

Die Prosa der Romanvorlage wird in kunstvoller Weise umgesetzt, dass Thematik und Klang sich zwar unbedingt verschränken, doch aber unabhängig voneinander funktionieren. Somit entsteht ein äusserst vielseitiges Hörerlebnis.

Der Einsatz der Instrumente wirkt mit Liebe zum Detail orchestriert und bewegt sich technisch auf  (erwartungsgemäss) tadellosem Niveau. Vor allem aber scheinen die Basler im Zusammenspiel einiges dazugewonnen zu haben – oder aber sie erwischten den absolut perfekten Moment!

Am meisten gefallen Passagen, wo kontrahierende Gefühlslagen portiert werden, dass Leichtigkeit und Schwere wie koexistieren. In solchen Momenten gerät The Maldoror Chant: Old Ocean zum nahezu autobiografischen Erlebnis… und klingt nach. Etwas unschlüssig verbleibe ich nach wie vor beim Song Image of the Infinite, der für mich nicht 100% ins Konzept passen will.


Wertung: 4.5/5.0


The Maldoror Chants kann ab dem Freitag, 25. Oktober 2024 über bandcamp oder übliche Kanäle bezogen werden.


Text: C. Sturzenegger


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