Im Gespräch mit Andromeda Anarchia von Folterkammer

FOLTERKAMMERs Zweitling Weibermacht erschien letztjährig auf dem renommierten Label Century Media. Mit dabei Saitenkünstler Zachary Ezrin von IMPERIAL TRIUMPHANT plus weitere Karäter. Vor wie hinter dem Projekt jedoch steht eine Schweizerin, die du Andromeda Anarchia nennst. Ein Grund für HeAvYmeTaL.ch, sich mit der Sängerin zu unterhalten.
Das international zusammengestellte Quintett performt eine Sorte Black Metal, die mal augenzwinkernd mal störrisch daher kommt. Verwurzelt im rauen Sound der Neunziger öffnet sich der Klang ins operesk Barocke. Andromeda hat die Stimme dafür. Plus Attitüde. Denn Weibermacht heisst umgedacht.
In der Schweiz geboren, bildete sie sich am Konservatorium in Winterthur zur Sopranistin aus, wechselte anschliessend an die Jazzschule in Zürich, um schliesslich den Sprung ins Land der Hoffnungen zu wagen. Nicht ohne jedoch ihre Heimat zu vergessen.
Wir verabreden uns am 23. März 2025 an einem Ort quasi erfüllter Gelüste. Wo Grossmutter hemmungslos dein Erbe verprasst. Noch dazu ein Bollwerk des Bürgertums. Man nennt es Konditoreicafé.
Unser Gespräch dreht sich um Kunst, Nomadentum, FOLTERKAMMER, Kasperli, Heimaten und/oder aber Rollen. Woraus ein eloquenter Haufen Antworten resultiert, den wir dir nicht vorenthalten. Eine Diskografie findest du am Ende des Textes.
BEING ANDROMEDA
Hi Andromeda. Erst mal vielen Dank, dass du dir für HeAvYmeTaL.ch Zeit nimmst! Vor allem, da du ja ziemlich beschäftigt bist…
[lacht] Ja, im Moment ist einiges los. Obwohl ich ja eigentlich gerade zur Ruhe kommen wollte, um an neuem Material schreiben…
Du bist in der ganzen Welt unterwegs. Hast du noch ein Zuhause?
Mein Zuhause ist das Unbekannte. Im zu lange Verharren verspüre ich stets leise Paranoia. Plagt mich die Befürchtung, dereinst konservativ und runzelig zu werden, was ich natürlich ganz und gar nicht will! [lacht] Zudem lernt man in der Ferne Alltägliches zu schätzen, was aus lauter Selbstverständlichkeit schnell mal vergessen geht. Deshalb fühle ich mich gerade in der Fremde durch und durch als Schweizerin.
Magst du uns kurz erzählen, welche musikalischen Stationen du auf deinem Weg hierher genommen hast?
Bereits als Kind imitierte ich gerne Sprachen und Stimmen. Hörte mich durch die Kasperli-Episoden mit Ines Torelli, Jörg Schneider plus anderen. Was die mit ihren Stimmen alles anstellten, beeindruckt mich bis heute. Später schrieb ich mich am klassischen Konservatorium in Winterthur ein, merkte aber, dass der Beruf einer Opernsängerin nichts für mich ist. Ehrlich gesagt, passte ich mit Lederjacke, Slayer Shirt und dunkel umrandeten Augen mehr schlecht als recht dort hinein. Hinzu kommt, dass ich mit einem Stimmtyp ausgestattet bin, der über längere Zeit sorgfältig trainiert werden muss. Da darf man nicht zu früh schwere Literatur singen. Jene Stücke, die ich dann singen durfte, hatten mich hingegen mässig interessiert. So oder so wollte ich bereits damals eigenes Zeugs singen und komponieren.
Nach einem Abstecher an die Jazzschule verlegte ich mich auf autodidaktisches Training. Probierte das eine oder andere aus, saute rum und tat (endlich mal) all das, was bis anhin «streng verboten» gewesen war. Dabei merkte ich schnell, dass mein Timbre beim Metal optimal zur Geltung kommt. Somit kam ich auch wieder zur Klassik zurück.
Infolge DARKMATTERS bist du dann zur Weltenbummlerin geworden…
Das eine führte zum anderen. Für mein Projekt ANDROMEDA ANARCHIA'S DARKMATTERS war ich hierzulande ganz einfach nicht an die richtigen Musiker/innen gelangt. Erst ausserhalb fanden sich Menschen, die genreübergreifend musizieren wollten. Gleichnamige EP wurde letztlich vom französischen Label Alter-Nativ veröffentlicht und prompt für die Independent Music Awards in New York nominiert.
Was dich dazu bewegte, gleich selbst vor Ort zu sein?
Genau. Womit sich die Gelegenheit bot, Leute persönlich kennenzulernen, zu denen ich bisher lediglich aus der Entfernung Kontakt pflegte. Einer davon war Zachary Ezrin von IMPERIAL TRIUMPHANT. Auf einigen Alben bin ich ja auch zu hören. Jedenfalls verbindet uns die Zuneigung zu Künstler/innen wie Nina Hagen oder Klaus Nomi. Zach hat ein Faible für die Kantigkeit und Kraft der deutschen Sprache. So kam denn auch die Idee zu FOLTERKAMMER.
FOLTERKAMMER
Womit wir gleich beim nächsten Thema sind...
Zach und ich waren überzeugt, dass eine Kombination aus Oper und Black Metal funktionieren würde. Mit Brendan McGowan (Drums) und Darren Hanson (Bass, Gitarre) konnten grossartige Musiker für die Idee gewonnen werden. Später kam dann noch Laurent David dazu, den ich ja bereits von DARKMATTERS her kenne. Das erste Album Die Lederpredigt war dann noch seeehr Low Budget aufgezogen. Lower geht eigentlich kaum mehr. Wir probten in einer Art Übungsraumkomplex, der nach einem Wasserschaden nicht nur abgehalftert aussah, sondern es tatsächlich auch war. Wand an Wand spielten Bands allen Couleurs...
Im Frühjahr 2024 dann wurde das aktuelle Werk Weibermacht auf die Welt losgelassen. Wie ist es dazu gekommen?
Während ich den Lockdown in Paris verbrachte, sassen Zachary, Brendan und Darren in den USA fest. Einige Ideen hatten wir jedoch bereits vorher zusammengetragen. Ich selbst machte mir Gedanken zur Thematik des Albums. Fragte mich, wie Black Metal sich anders formulieren/andenken liesse, suchte eine Äquivalenz zur Baphomet Figur. Welche ich schliesslich in der Person der Dominatrix fand, worin Emanzipation, entrückte Schönheit und schiere Gefährlichkeit sich vereinen. Eine, die – genauso wie der Dämon – mit «männschlichen» Abgründen bestens vertraut ist. Diese zu nutzen weiss. Eine Provokateurin, die sich einen Deut um gesellschaftliche Rollen kümmert. Zudem ein Charakter, mit dem sich visuell arbeiten lässt.
Worauf ich mich in die Thematik vertiefte, Bücher las, Filme studierte, mich sogar von einer Londoner Dominatrix unterrichten liess. Wobei ich auf das Konzept der «Weibermacht» stiess, welches in Europa seit dem Mittelalter Tradition hat. Womit eben der Bogen zu Black Metal geschlagen werden konnte. Die Jungs von der Band waren angetan von der Idee und als Eliran Kantor sich noch bereit erklärte, das Albumcover zu gestalten, war eigentlich alles perfekt.
Die Reaktionen auf das Album fielen sehr unterschiedlich aus. Einige witterten Verrat an ihrem Black Metal-Verständnis, andere ergossen sich in ausufernden Eulogien. Was geschah da mit dir?
Das Beste, was dir als Künstler/in widerfahren kann, ist ja, dass du polarisierst. Wenn niemand sich angepisst fühlt, hast du irgendwas falsch gemacht. Kunst ist für mich nichts Bequemes. Kunst bedeutet Opposition, Rebellion, Revolution... Was eben gerade Black Metal für mich ausmacht. Weshalb es zu begrüssen ist, dass das Genre sich in letzter Zeit gewandelt hat. Offener geworden ist. Weniger Gatekeeping praktiziert wird. Diese 90er Jahre Abgrenzungstendenzen etwas in den Hintergrund gerückt sind. So oder so habe ich dieses Szenedings nie so richtig verstanden, dieses sich mit nahezu religiösem Eifer auf gerade das Eine zu konzentrieren. Wo rundum doch so viel Interessantes geschieht.
Humor & Sex sind im Black Metal reichlich verpönt, wohingegen Weibermacht sowohl mit Augenzwinkern daherkommt, als auch die sexuelle Komponente kaum von der Hand zu weisen ist. Was bezweckst du damit?
Zum einen will ich provozieren. Aufwecken. Zum andern möchte ich auf Missstände aufmerksam machen. Mir geht es um Gesellschaftskritik. Oder aber politische Kritik. Denn Kunst ist schliesslich ein Sprachrohr. Gespräche und Interviews nach Konzerten haben mir gezeigt, dass Türen geöffnet werden konnten, Diskussionen stattfanden oder Feedbacks abgegeben wurden, die wieder zu Neuem anregen.
Gab es Reaktionen, die dich überrascht hatten?
Polarisierende Reaktionen hatte ich ja erwartet. Überrascht hingegen war ich bei Interviews, wo das Gegenüber auspackte, emotional betroffen war oder aber sich abgeholt fühlte. Was wiederum mich selbst berührte.
Welche Erkenntnis hast du aus deiner Arbeit zu Weibermacht gewonnen?
Während den Vorarbeiten beschäftigte ich mich mit Themen, die ich in dieser Weise ganz und gar nicht auf dem Schirm hatte. Dadurch, dass ich bis anhin unbewusste Vorurteile an mir entdeckte, hat sich mein Denken geändert. Ich bin diesbezüglich offener geworden. Natürlich aber auch wurde meine Neugierde geweckt...
ROLLEN
Du schlüpfst gerne in Rollen hinein, sagst du. Was verbindest du damit?
Es beginnt beim Namen. Andromeda Anarchia bezeichnet mein Künstlerinnen-Ego. Ich möchte einen Unterschied schaffen zwischen Privatleben und Kunst. Was mir vor allem früher sehr geholfen hat, den Mut zur Darstellung, zur Rolle zu finden. Den Zusatz Anarchia wählte ich, weil er mir absolute Freiheiten gibt. Keine Hierarchien. Keine übergestülpten Schablonen. Denn wollte ich das Anarchische im Alltag leben, käme es weniger gut (an). Dadurch schaffe ich mir Gelegenheiten, mein Wirken in eine Welt zu transferieren, worin Widerständiges möglich wird. Genau darunter verstehe ich künstlerische Arbeit. Du abstrahierst, konkretisierst etwas, was im Alltag ganz einfach nicht möglich ist.
Gibt es Rollen, die du gerne noch ausfüllten möchtest?
Meine Rolle in La Suspendida nähert sich diesem Wunsch sehr konkret an. Hierbei handelt es sich um eine Jazz-Metal Oper, wo ich eine der Hauptrollen übernehmen durfte. Die Idee dazu war bei einem Gespräch mit Laurent David entstanden. Er und seine Band KILTER hatte dann die Musik dazu komponiert.
Wenn ich jedoch einfach so wählen dürfte, performte ich unheimlich gerne mal Elektra (Oper von Richard Strauss, die Red.) oder die Violetta in La Traviata (Oper von Giuseppe Verdi). Auf keinen Fall aber im «klassischen» Sinn, eine avantgardistische Komponente müsste da auf jeden Fall mit drin sein. Ent-Kontextualisiert von dem, was sonst so ist…
ABSCHLIESSEND
Allmählich geraten wir ans Ende unseres Interviews. Wie sehen gerade deine Next Steps aus?
Vor allem möchte ich mich etwas zurückziehen, um an Material für DARKMATTERS arbeiten. Dieses Projekt möchte ich auf jeden Fall weiterziehen. Heisst Isolationszeit ist angesagt! Dann stehen einige Gastauftritte an, worauf ich mich sehr freue.
Wird man dich hierzulande demnächst live erleben können?
Mit FOLTERKAMMER wohl eher nicht. Da alle Beteiligten reichlich beschäftigt sind, stellt es sich aktuell als schwierig heraus, Termine zu koordinieren. Ich werde dich aber auf jeden Fall ajour halten!
Vielen Dank dafür plus die spannenden Einsichten, die du mit uns geteilt hast. Für Exil im kreativen Kämmerchen wünschen wir dir höchstmögliche Anarchie und sind gespannt auf deine nächsten Outputs!!!
DISKOGRAFIE
La Suspendida Live (2025)
La Suspendida (2024)
Andromeda Anarchia's Darkmatters (2018)
Weibermacht (2024)
Die Lederpredigt (2020)
BETEILIGUNG
PANZERBALLETT
Ode To Joy (Single, 2025)
MARC URSELLI'S RAMONES (REDUX)
I Don't Wanna Go Down To The Basement (Single)
KILTER
The Suspended Woman (2024)
AXIOM (2020)
IMPERIAL TRIUMPHANT
Spirit Of Ecstasy (2022)
Alphaville (2020)Vile Luxury (2018)
THOMAS DE POURQUERY
Starlight (Single)
Text und Bild von C. Sturzenegger
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