CORONER / Dissonance Theory

Als R.I.P. 1987 erschien, waren CORONER längst keine Unbekannten mehr. Bereits im Vorfeld des Releases zirkulierten zigfach kopierte Kassetten mit von Mal zu Mal unlesbareren Covers. Dazu noch hatte Tom G. Warrior himself das Death Cult Demo mit Gesangsparts bereichert.
Zur Einordnung: Im selben Jahr war VOÏVODS Killing Technology erschienen, The Legacy von TESTAMENT sowie Hochkaräter aus den Häusern SEPULTURA, ANTHRAX und DEATH ANGEL. (METALLICA hatten sich im Übrigen längst auf ihrer Kometenbahn gemütlich gemacht.) So war das Gegenteil von ausgetrocknetem Markt der Fall, als Marquis, Ron und Tommy sich gerade mal in Richtung Startlöcher bewegten. Dennoch aber wurden sie hüben wie drüben des Teichs gefeiert, wobei vor allem Genrekollegium sich vom technisch einwandfreien, jazzig angehauchten Thrash der Zürcher nachhaltig beeindrucken liess.
Trotz nach oben offenem Kultfaktor blieb den Schweizern der grosse Durchbruch verwehrt. Einerseits ungünstigen Timings wegen, andererseits aufgrund mangelnder Unterstützung durch ihr damaliges Label Noise Records. Nach Grin (1993) dann war für eineinhalb Dekaden Schluss. Nach erfolgter Reunion dauerte es nun ebenso lange, bis ein neues Studioartefakt sich totalüberraschend in unsere Welt stehlen sollte. Ob es den Maestros gelang, mit Dissononce Theory an alte Tage anknüpfen, werden wir folglich hören. Zumindest das Cover passt ins gewohnte Design.
Durchgehört
Nach einem spacig industriellen Einstieg (Oxymoron) nimmt Consequence mit nicem Picking Fahrt auf, um sobald Membranen in fulminantem Blast zu testen. Die Produktion zeigt sich druckvoll wie Hochsommergewitterfront, gleichsam differenziert, dass feinere Klänge nicht ungehört bleiben. «This is no fun», singt Ron mit tonal rauer Stimme, wobei du für einmal gänzlich anderer Meinung sein darfst. Songparts gleiten nahtlos ineinander über, Rapacchiettis Schlagstockspiel glänzt durch verspielte Präzision, dazu noch schwingen Saiten in mit- und gegenläufiger Weise, dass eine oder der andere sich kurzerhand Avantgarde notiert.
Sacrificial Lamb hingehen bringt Gelassenheit ins Spiel, wobei du gleich an Ozean denken magst, Wellenspiel oder sonst so Gezeiten. Trotz vertrackten Rhythmen bleibt das Tempo erhalten, unablässig werden wir vorwärts getrieben. Als Tommys Solo letztlich wie Lichtstrahl Wolkendecke durchbricht, keimt nahezu Hoffnung auf. (WANN hatte CORONERs Musik sich je hoffnungsvoll angefühlt?)
Im weiteren Verlauf von Dissonance Theory gleiten wir von Stück zu Stück, wobei die Architektur des Albums uns Achtung abverlangt. Jener kunstvoller Bogen, welcher durch Ruh & Sturm sich spannt. Bei Cirsium Bound verschmilzt das Trio musikalisch zu einer Einheit, mit Symmetry erleben wir einen Höhepunkt (sic!) sondergleichen und erreichen The Law, um uns zu erlaben. Dem Album ist anzumerken, dass Zeit vorhanden war, es umzusetzen plus diese genutzt wurde. CORONER tun nicht so, als trügen sie noch immer die verwaschenen Jeans von gestern, sondern wirken gereifter. Hand in Hand mit Harmoniebedürftigkeit.
Folgestücke tragen diesem Umstand Rechnung. Transparent Eye und Trinity präsentieren sich vorderhand ausgewogen. Wenngleich technisch gerade gar nichts auszusetzen ist, scheint es an Direktheit, der klaren Aussage zu mangeln. Gitarrensolos geraten nahezu stadiontauglich, Refrains für meine Begriffe etwas zuckrig. (Doch wird hier auf höchstem Niveau moniert, schon klar.) Mit Renewal dann wird noch einmal versöhnlich auf den Putz gehauen, bevor Prolonging das Album in Würde beschliesst.
Fazit
Die drei Mannen sind zwar hörbar sanfter geworden, doch steht es ihnen gut. CORONER schufen ein meisterliches Werk, welches Erwartungen um Weiten übertrifft. Vom seidenfeinen, dennoch druckvollen Mix hin zur filigranen Technik sämtlicher Akteure entstand ein sorgsam durchdachtes Album, welches bei jedem Hören neue Details enthüllt. Kurzum eine Hammerscheibe! Einzig da, wo Pathos sich einmischt, droht aufgebaute Spannung sich gelinde zu verlieren.
[Wertung: 4.5/5.0]
Text: C. Sturzenegger
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