Rock Altitude Festival Le Locle 2022
Le Locle? Der Bahnhof vermittelt diesen Touch von Spiel mir das Lied vom Tod. Im Städtchen hingegen werden Szenen aus Walking Dead lebendig. Zäh brennt die Sonne vom Himmel herab, während die Fassaden der Häuser den Putz verlieren. Menschen haben sich in deren Inneres verkrümelt oder sind bereits dort, wo auch wir hinwollen.
Das Festivalgelände liegt auf einer sanften Anhöhe, welche entweder zu Fuss in ca. 20 Minuten erreicht werden kann - oder aber bequem per Shuttle ab Bahnhof. Gleich nach der Ticketkontrolle gelangen wir in eine überschaubare Foodtruck-Wagenburg, wo man sich immer wieder trifft. Die Musik spielt entweder in einer grösseren Halle oder aber im Zelt. Irgendwo in der Nähe müsste sogar noch ein idyllischer Zeltplatz finden sein, da wir uns jedoch für's Hotel fleur de Lis entschieden haben, erübrigt sich die Suche.
ACTS
Sxokondos bisher einzige EP gelangte 2020 in die Läden und ist heuer lediglich noch als Kassette erhältlich. Die fünf nicht mehr ganz taufrischen Jungs spielen rhythmisierten Hardcore, durchmischt mit Sludge-Elementen, Noise (O-Ton) et cetera. Sie verstehen ihr Geschäft, soviel ist klar, wie auch die genreübliche Aggression über die Jahre nicht verloren gegangen zu sein scheint. Ein gebührender Opener, der gehörig Druck macht und bei dem gewiss keine Langeweile aufkommt!
Kadavar zelebrieren diesen stoner-psychodelic-70-Jahre-sowieso-Rock, der sich auch im Neuenburgischen breiter Beliebtheit erfreut. Stilistisch starten sie mit einer Art Sabbath-Phase (Ozzy natürlich) und drehen dann mehr und mehr in Richtung Hawkwind plus Konsorten. Auch wenn die drei Berliner das Rad nicht gerade neu erfinden, legen sie ein überzeugendes Set hin. Insbesondere der Drummer tut es mir an (siehe Foto im Anhang)...
Regarder les Hommes Tomber (FR)
RLHT spielen einen mehr oder weniger modernen (Post?!?) Black Metal, durchsetzt mit Sludge (immer wieder!) Elementen. Das letzte, bereits 2020 erschienene Album Ascension stellte den Abschluss einer Trilogie dar. Der Longplayer überzeugt durch Dichte und Sorgfalt in der Komposition. Der Auftritt der Franzosen gerät denn auch zur Messe, welche Vokalist T.C. meisterlich zelebriert. Den Vieren gelingt es, das herausfordernde Gefüge ihrer Songs auf die Bühne zu übertragen, was funktioniert, weil gerade nicht zuviel gewollt wird. Hoffen wir, dass die Franzosen demnächst Zeit finden, ein nächstes Album einzuspielen!!!
Coilguns werden im Katalog unter Mathcore geführt und gelten als Flaggenhalter der 2.0 DIY-Szene. Heisst, Alben werden an einem Stück komponiert, aufgenommen plus individuell gestaltet. Sänger/Gitarist Luis Jucker mitbegründete das welsche Label Hummus-Records und gilt sowieso als Hansdampf in vielen kulturellen Gassen, was ihm 2021 denn auch den Schweizer Kulturpreis eintrug. Zudem spielte ein Grossteil seiner Musikerkollegen in der Vergangenheit bei den Kult-Postmetallern The Ocean, also insgesamt keine schlechten Referenzen... Live geht dann durchaus die Post ab. Vor allem Luis gibt alles bis hin zu seltsam ekstatisch-epileptischen Sprüngen/Verrenkungen, ohne je Rhytmus oder Gleichgewicht zu verlieren. Gut zu spüren, dass es sich für ihn um ein Heimpspiel handelt, wozu ensprechend geplappert , erklärt, nachgeschoben werden muss. Nach eigenem Dafürhalten geht der Fluss der Darbietung dadurch etwas verloren, die meisten im Saal aber scheint es wenig zu stören oder gerade im Gegenteil... Trotz der zuweilen anspruchsvollen, sperrigen Darbietung empfiehlt es sich, die Coilguns (wiederholt) auf die Wunschliste zu setzen.
Im Post Metal Bereich gelten Amenra zu der Sorte Bands, welche längst nicht mehr im Sandkasten spielen, sondern als Messlatte für jene dienen, die eben mehr wollen. Zugewandte schwärmen denn überschwänglich von elektrifizierenden Bühnenauftritten, was entsprechende Erwartungen schürt. Stilistisch wird's schwierig, weil es sich bei Post-Kategorien eben schwierig verhält. Post gleich Danach, wobei immer alles ein wenig Post und letztlich: Post wovon schon wieder? Amenra sind musikalisch auf der depressiven Seite anzutreffen, heisst Moll, schwere Gitarren, schleppende Drums, orchestrale (konzeptuelle) Durchgestaltung. Dazu Frontmann Colin H. Van Eeckhout, der dir in allen Stimmlagen Gänsehaut der Extraklasse beschert, die du dankbar über Tage nicht los wirst. Live machen die vier Belgier einen in sich geschlossenen, nahezu meditativen Eindruck, wodurch es ihnen gelingt, die schiere Intensität ihrer Alben optimal in die Audienz hineinzutragen. Ein Erlebnis, wenn auch (wie unten vermerkt), der Saalmix Wünsche offen lässt.
FAZIT
Das Rock Altitude Festival besticht durch ein breit durchmischtes, kulturelles Programm auf hohem Niveau. Die Atmosphäre bleibt trotz der wohl mehr als 2000 mehrheitlich französisch sprechenden Besucher*innen gemütlich bis nahezu familiär. Das kulinarische Angebot wirkt ausgesucht und lädt zum mehrmaligen Besuch ein. Als einziges nennbares Manko ist der nicht ganz so perfekte Sound (vor allem in der Halle) herauszuheben. Gerade Bands wie Amenra oder auch Kadavar sind auf einen feindosierten Mix angewiesen. In der Festivalwertung für mich eine klare 9/10.
[Bericht und Fotos von claude@heavymetal.ch]
FOTOS
SXOKONDO (Bild: claude@heavymetal.ch)
Christioph "Tiger" Bartelt von Kadavar (Bild: claude@heavymetal.ch)
Christoph "Lupus" Lindemann von Kadavar (Bild: claude@heavymetal.ch)
T.C. von Regarde les hommes tomber (Bild: claude@heavymetal.ch)
Coilguns (Bild: claude@heavymetal.ch)
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