Murgang / End Of All
Murgang bezeichnet eine Schlammlawine, die höllisch rasant sich in Richtung Tal bewegt. Wobei Kollateralschäden aufgrund des hohen Feststoffgehalts eigentlich garantiert sind.
Abnehmende Hangstabilität (vor allem in Bergregionen) führt unweigerlich zu vermehrtem Auftreten solcher Ereignisse. Zudem wird gemunkelt, dass einmal mehr der Klimawandel seine schmutzigen Finger im Spiel habe. Aber wer weiss schon?
Doch brauchst du nicht mit der Rhätischen Bahn zu fahren, um derlei zu erleben, sondern bist mit der Band Murgang bereits ordentlich bedient. Heisst Natur von der fatalistischen Sorte ins Wohnzimmer gebracht, dazu noch ohne im Nachhinein gross aufräumen zu müssen.
Wer das Duo aus Davos mal live erleben durfte (siehe Bericht und Fotos HIER), wird den Sachverhalt gerne bestätigen wollen. Die Heimatstadt von ncrlrg und vdskr assoziierst du mit WEF, schlittenwütiger Freizeitdiaspora und monstermässig verpulverten Abwasserproben. Wozu gerade Murgang die Antithese bildet: Nix Après-irgendwas, kein Danach, sondern End Of All aber subito! Das Album stellt zugleich ihr Erstlingswerk dar, weshalb sich darauf Stücke aus der gesamten (achtjährigen) Schaffenszeit versammeln. Soviel mal zum Kontext.
Die neun mehrheitlich kurzen Songs kommen (wohl aufgrund des jeweiligen Entstehungskontextes) zum Teil recht unterschiedlich daher: Sowohl produktionstechnisch, stilistisch als auch rhythmisch. Letzteres wird im Übrigen ausschliesslich maschinell erzeugt, zugunsten «klinischer Brutalität», wie die Band gleich selbst ausführt.
Der erste Song The Church beginnt mit einem irgendwie seltsamen Synthie
Intro, welches jedoch den Zweck so weit erfüllt, dass die unvermittelt
einbrechenden, industriell-technoiden Beats im Hoch-BPM-Bereich dich radikal gewollt auf dem falschen Fuss erwischen. Dahinter gelegt
irren ncrlrg Tremolo Riffs wie Motten ums Licht, während vdskrs Growl-
und Schreigesang an Raserei grenzende Ohnmacht auslotet. Ob gerade dieser Track den Einstieg in das Album gebührt, kann auf jeden Fall diskutiert
werden, jedenfalls wird klar, dass balladentechnisch auch im weiteren Verlauf nicht viel erwartet werden darf.
Auf den folgenden Tracks nimmt das Album einen etwas anderen Charakter an. Die Beats treten akustisch etwas in den Hintergrund und fungieren im Mix in der «Rolle» des Drummers. Das folgende Final War ist ein absoluter Hammertrack, wobei Growls so richtig aus den Eingeweiden herausgestossen werden, das nachgelegte Burning vermittelt dir ebenjenes Feeling kochenden Körperfettes. Murgang fackeln nicht lange rum, kommen fadengerade zur Sache und beenden diese meist auch schlüssig oder wenigstens prägnant. Ab dem vierminütigen Morto, eine (sagen wir mal) punkige Nummer mit ansprechender Rhythmisierung, scheinen die Jungs sich so richtig heiss gelaufen zu haben. Song für Song haut rein und da fragst du nicht nach Texten. Brauchst nicht.
Fazit? Gefühlt stellt Murgangs Werk eine Art Potpourri ihrer bisherigen Schaffensphase dar, sprich erstes Album und gleich schon Best Of... Die beiden Musiker machen einen Superjob und verwehren sich erfolgreich der luciferischen Versuchung, da und dort etwa mehr zu wollen als der Ausdruck es verlangt. Ist ja nicht so, dass Komfortzone sich nicht wieder aufrichten liesse...
Auch wenn es sich womöglich seltsam anhört: End Of All ist ein Album, welches getrost mehrmalig angehört werden kann - oder vielleicht sogar will. Denn so eine Mure bricht ja sowas von totalurplötzlich über dich herein, dass du dir am allerwenigsten Gedanken etwa zum Konglomerat machst.
Oder ÜBERHAUPT denkst.
Beziehen kannst (und sollst) du das gute Stück digital oder als Vinyl HIER auf bandcamp.
(Text: C. Sturzenegger, veröffentlicht am 17.03.2024)
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